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Cittaslow ist eine Mitgliedschaftsorganisation für kleine und mittlere Städte, deren Ziel die Unterstützung und der Erhalt regionaler Wirtschaftskreisläufe, regionaler Produkte und regionaler Kulturlandschaften ist. Dem Aussterben ländlicher Regionen soll durch die Bewahrung traditioneller Herstellungsverfahren sowie die Förderung lokaler Produktionsabläufe, kurzer Transportwege und der Direktvermarktung entgegengewirkt werden. Die Organisation versucht den Menschen den Wert ländlicher Regionen und kleiner Städte näher zu bringen, in denen kleinteilige lokale Ökonomien Regionalbewusstsein und Gemeinschaft stärken.  

Ausgangslage, Entwicklung und aktueller Stand

Ausgehend von der in Italien entstandenen Slow-Food-Bewegung gründeten im Jahre 1999 die vier italienischen Städte Bra, Greve, Positano und Orvieto die Bewegung »Slow City – Netzwerk der lebenswerten Städte«. Ziel des Netzwerks ist die Erhöhung der Lebensqualität, Entschleunigung sowie die Förderung der Regionalität in Klein- und Mittelstädten (bis 50.000 Einwohner). Ein Jahr später, im Jahre 2000, gab es bereits über 30 Mitgliedsstädte in Italien und es wurde beschlossen, die Bewegung international auszuweiten. Seit 2003 nennen sich die Mitgliedsstädte nicht mehr „Slow City“, sondern „Cittaslow“. Im Jahre 2016 wurden mit Enns, Hartberg und Horn drei österreichische Städte zertifiziert. Weltweit gibt es derzeit 176 Mitgliedstädte in 27 Ländern.[1] Die Mitgliedstädte müssen einen umfangreichen Kriterienkatalog erfüllen, um zertifiziert zu werden. Der Vereinszweck ist die Förderung und der Erhalt regionaler Wirtschaftskreisläufe, der Erhalt von regionaltypischen Stadtbildern und Kulturlandschaften, die Verbesserung der Umweltqualität, die Förderung regionaler Produkte, die Förderung von Regionalbewusstsein, Gastfreundschaft und internationalem Austausch, sowie Geschmack, Qualität und Regionalität der Ernährung.[2]

In der Satzung sind unter anderem folgende verbindliche Ziele festgeschrieben: Bewahrung traditioneller Herstellung regionaler Produkte, Unterstützung natürlicher Produktionsabläufe, kurze Transportwege, regionale Märkte, Förderung der Direktvermarktung, Veranstalten von Wochenmärkten, Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten und Bewusstseinsbildung. Zudem geht es um den Erhalt typischer Kulturlandschaften sowie den Schutz der Vielfalt von Flora und Fauna. Viele dieser Ziele entsprechen der Vorstellung regionaler Resilienz und ergänzen das Konzept um Langsamkeit und Einfachheit.[2] Cittaslow steht für eine Stadt- und Regionalentwicklung, die die lokalen Potenziale in den Mittelpunkt stellt und an den vorhandenen Ressourcen anknüpft. Die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe und regionaler Wertschöpfung sowie die aktive Gestaltung des demografischen Wandels sind zentrale Ziele der Mitgliedsstädte. Die Stärkung der Ortskerne als Wohn- und Versorgungsstandorte mit hoher Aufenthaltsqualität und gut erreichbarer Infrastruktur ist ebenso ein zentrales Anliegen der Bewegung wie die Förderung der Energieautarkie und des Bewusstseins für Lebensqualität und Zeitwohlstand.[3]
 

Positive Effekte im Hinblick auf die Aspekte einer regionalen Resilienz

In der Cittaslow-Bewegung geht es im Kern darum, dem Aussterben der ländlichen Regionen und den Auswirkungen der Globalisierung etwas entgegenzusetzen. Viele Kommunen kämpfen mit den gleichen Problemen: Abwanderung, Überalterung, Fachkräftemangel, leere öffentliche Kassen, Gebäudeleerstand, Verlust von Einzelhandelsgeschäften und medizinischer Versorgung, Verlust regionaler Identität und Solidarität. Cittaslow ist Ausdruck einer Gegenbewegung, um lokale Ressourcen als solche zu erkennen und innovativ in Wert zu setzen. Die Nutzung der endogenen Ressourcen ist ein erklärtes Ziel von Cittaslow. Die Steigerung der Lebensqualität soll durch Re-Regionalisierung, Bewusstseinsbildung, Partizipation und Entschleunigung realisiert werden. Den Menschen soll ins Bewusstsein gerufen werden, welchen Wert, welche Vorteile und welche Einzigartigkeit ländliche Regionen und kleine Städte bieten können. Durch Bewusstseinsbildung soll die Wertschätzung ländlicher Regionen gesteigert werden, um Abwanderung zu vermeiden.
 

Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad

Der Kriterienkatalog [4], den die Mitgliedstädte erfüllen müssen, umfasst sieben Makrobereiche: (1) Energie- und Umweltpolitik, (2) Infrastruktur, (3) Politik für urbane Qualität, (4) Landwirtschaft, Tourismus und Handwerk, (5) Gastfreundschaft, Bewusstsein und Bildung, (6) Sozialer Zusammenhalt, (7) Partnerschaften. Diese sieben Bereiche umfassen knapp 80 Kriterien, die wiederum genauer detailliert ausgeführt sind. Im Makrobereich 3 »Urbane Qualität« ist explizit ein »Plan für städtische Resilienz« aufgeführt [5]. Regionale Resilienz ist demnach konstitutiver Bestandteil der Cittaslow-Bewegung. Im Bereich Energie- und Umweltpolitik beispielweise ist die öffentliche Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien vorgeschrieben, ebenso wie die Senkung des Stromverbrauchs. Beide Maßnahmen tragen zu Subsistenz und Suffizienz bei. Auch weitere Kriterien des Makrobereichs 3 wie die Förderung sozialer Infrastrukturen (Zeitbanken, Freecycle-Projekte, etc.), die Förderung eines nachhaltigen öffentlichen Städtebaus (Passivhaus, ökologische Baumaterialien, etc.), die Sanierung und Einrichtung fruchtbarer Grünflächen mit Nutzpflanzen und Obstbäumen innerhalb der Stadtgrenze, die Schaffung von Räumen für die Vermarktung lokaler Produkte, der Schutz regionaltypischer Werkstätten, die Förderung der Agrarökologie, die Aufwertung traditioneller Berufe und Arbeitstechniken, die Verwendung lokaler, biologischer Produkte in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung u.v.m. tragen nicht nur zu einer Re-Regionalisierung bei, sondern auch zu Versorgungssicherheit und -souveränität, zu Subsistenz und ressourcenleichten Konsummustern. Die Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad wird bei Cittaslow mehr als deutlich.
 

Regionalbewusstsein und Partizipation

Die Schaffung eines geteilten, inklusiven Regionalbewusstseins mit progressiver Verwurzelung ist ein explizites Ziel der Mitgliedschaftsorganisation. Die progressive Verwurzelung wird erkennbar, wenn in der Satzung als ein Zweck des Vereins die „Förderung von Regionalbewusstsein, Gastfreundschaft und internationalem Austausch“ [2] aufgeführt ist. Es geht dementsprechend nicht um eine reaktionäre Form der regionalen Identität, sondern um ein Bewusstsein für die Region innerhalb einer globalisierten, vernetzten Welt. Der Makrobereich 5 »Politik für Gastfreundschaft, Bewusstsein und Bildung« [6] zeigt auch, dass es um eine weltoffene emanzipierte Besinnung auf die Potenziale der Region und nicht um Abschottung geht. Im Makrobereich 5 findet sich auch das Kriterium »Einsatz effektiver Beteiligungstechniken, um Bottom-up-Prozesse bei den wichtigen Verwaltungsentscheidungen in Gang zu setzen«, was verdeutlicht, dass die aktive Beteiligung der Bürger ein zentrales Element der Cittaslow-Bewegung ist. Demokratische Mitbestimmung und Partizipation werden gefördert. In vielen Cittaslow-Städten gibt es Arbeitskreise von Bürgerinnen und Bürgern, die sich regelmäßig zu verschiedenen Themenfeldern treffen, um mit Cittaslow eine breite Bürgerbeteiligung zu schaffen. Die Menschen vor Ort entscheiden gemeinsam, wie ihre Stadt gestaltet werden soll.
 

Bewusstseinsbildung und Subsistenz

Ernährung und Gesundheit sind in Cittaslow-Städten wichtige Elemente von öffentlichen Projekten. In Bra, eine der vier Gründungsstädte der Bewegung, wurde im Jahr 2004 die Universität gastronomischer Wissenschaften gegründet, eine Lehreinrichtung, die junge Menschen im Sinne von Slow Food zu Gastronomen in verschiedenen Berufsfeldern ausbildet. An der größten Schulkantine der Stadt werden täglich 1.400 Mahlzeiten mit regionalen Zutaten für die örtlichen Schulen und Kindergärten sowie weitere öffentliche Einrichtungen zubereitet. Kindern sollen die für die Region und jeweilige Jahreszeit typischen Produkte und Ernährungsweisen nähergebracht werden. Dies unterstützt nicht nur eine Re-Regionalisierung, eine Verkürzung der Transportwege sowie eine höhere Versorgungssicherheit, sondern verändert auch den Bezug und das Bewusstsein der Kinder zu ihren Lebensmitteln. Dem politischen Leitbild der Subsidiarität entspricht das Modell, da das, was regional erbracht werden kann, regional erbracht wird. Kurze Rückkoppelungsschleifen werden ebenso gefördert wie die regionale Wertschöpfung. Mit der Vergabe von 80 Kleingärten auf kommunalen Flächen an Bewohnerinnen und Bewohner zum Anbau von Obst und Gemüse stellt Bra seit Oktober 2012 zudem eine Verbindung von Subsistenz und Flächenpolitik her. Positano, ebenfalls eine der vier Gründungsstädte, hat 2012 mit der »Settimana per l’ambiente« (Woche für die Umwelt) eine Veranstaltung ins Leben gerufen, die die Themen Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Gesundheit, Natur und lokale Produkte miteinander in Verbindung bringen soll. Kurse zu ökologischem Bauen und Bioarchitektur mit regionalen Baustoffen sollen dazu beitragen, diese Prinzipien beim privaten Bauen zu etablieren.
 

Re-Regionalisierung und Versorgungssouveränität

Weitere für das Resilienzthema relevante Kriterien von Cittaslow-Städten sind folgende [4]: Energieautarkie, der Erhalt von Streuobstwiesen und Kulturlandschaften, die Etablierung lokaler Märkte, die Steigerung der Aufenthaltsqualität in Kleinstädten (beispielweise durch Barrierefreiheit, autobefreite Zonen und einen guten ÖPNV), gut ausgebaute Radwege, ausreichend Fahrradabstellplätze, die Einrichtung so genannter »Shared Spaces«, also öffentlicher Orte der Begegnung, die Gestaltung des öffentlichen Raumes mit so genannten Ruheinseln, eine starke Durchgrünung des Stadtgebietes, kleinteilige Einzelhandelsstrukturen mit vielen inhabergeführten Geschäften, die Stärkung der Elektromobilität mit Tankstellen für E-Bikes, etc. In allen Städten wird auf Re-Regionalisierung und regionale Wertschöpfung Wert gelegt. Produktion und Verkauf regionaler Produkte und handwerklicher Qualitätserzeugnisse werden gefördert. Diese Maßnahmen verbinden das Ziel der Versorgungssouveränität (Energieautarkie, kleinteilige regionale Ökonomie) mit dem Ziel, die Lebensqualität durch Gemeinschaft (Shared Spaces), Entschleunigung (Fahrrad anstatt PKW) und Aufenthaltsqualität (Grünflächen, Autofreiheit) zu steigern. Die Entwicklung der Cittaslow-Städte ist im Kern eine Rückbesinnung auf bereits Dagewesenes: Lokale, ökologisch erzeugte, handwerkliche Produkte für den lokalen Markt, entschleunigte Infrastrukturen, Einfachheit, Autarkie. All dies ist nicht neu, nur in Vergessenheit geraten, weshalb eine Rückbesinnung zugleich eine neue Form der Problemlösung ist.
 

Erfolgsfaktoren

Klein- und Mittelstädte haben als Wohn- und Wirtschaftsstandorte eine wichtige Bedeutung. Als regionale Zentren bestimmen sie entscheidend die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Gleichzeitig stehen viele Kommunen vor der Herausforderung, die demografischen und strukturellen Veränderungen aktiv zu gestalten und die Wohn- und Lebensqualität in der Region zu erhalten. Die Entwicklung der Städte und Gemeinden ist ein entscheidender Schlüssel, um lokale Antworten auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu geben. Klein- und Mittelstädte im ländlichen Raum haben beste Ausgangsbedingungen, sich an einem umfassenden Resilienzansatz zu orientieren. Die Cittaslow-Städte gehen entlang dieser Potenziale vor, es geht um die Stärkung lokaler Kräfte und die Besinnung auf örtliche Kompetenzen. Da es nach wie vor ein ausgeprägtes Bedürfnis vieler Menschen nach »ländlicher Idylle« gibt, führt das explizite Betonen und Herausarbeiten lokaler Qualitäten, Ressourcen und Potenziale zum Erfolg. Kleinstädte mit hoher Lebensqualität können zu einer massiven Entlastung hinsichtlich der Agglomeration in den Zentren beitragen. Cittaslow zeigt, wie man Demografiefestigkeit und Daseinsvorsorge in kleinen Städten sichern und gegen Abwanderung in Großstädte vorgehen kann. Dies macht das Netzwerk erfolgreich.

Ein besonderes Potenzial kleinerer Städte ist der Erhalt »sozialer Güter«, die potenziell unbegrenzt sind, deren Bewahrung aber eine große gemeinsame Verantwortung und lebendige gemeinschaftliche Kultur voraussetzt (gute Nachbarschaft, sozialer Zusammenhalt, Tradition, Kunst, Kultur, Authentizität usw.). Durch Cittaslow kommt es zu einer stärkeren Wertschätzung der Ressourcen kleiner Städte, wie den engen sozialen Beziehungen, kurzen Wegen und der Einbettung in Natur und Landschaft. Cittaslow ist ein globales Städtenetzwerk, das sich auf eine gemeinsame Wertebasis verständigt hat und diese in konkrete Formen bringt. Deshalb wird bei Cittaslow eben auch von einer »Bewegung« gesprochen. Eine solche globale Wertegemeinschaft, die durch die Zertifizierung auch formell vernetzt ist, hat eine größere Wirkung und Reichweite als individuelle Lösungen. Zudem zeichnet sich das Netzwerk dadurch aus, dem Zeitgeist eine durchaus radikale Alternative entgegenzusetzen. Ziele wie Zeitwohlstand, Re-Regionalisierung, eine kleinteilige lokale Ökonomie, sozialer Zusammenhalt und Begegnung, Qualität anstatt Wachstum (lieber weniger aber dafür hochwertig) haben offensichtlich für viele Menschen eine hohe Attraktivität. Cittaslow zeigt den Wert kleiner Städte und ländlicher Regionen und einen Weg, ihr Aussterben zu verhindern. Wesentlicher Erfolgsfaktor ist ein kooperativer Prozess unter Einbeziehung der Unternehmen, lokaler Einrichtungen sowie der Bürgerinnen und Bürger.
 

Unterstützungsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand

Die Unterstützungsmöglichkeiten für die öffentliche Hand im Falle von Cittaslow sind relativ simpel: Die Verwaltungen von kleinen Städten bis 50.000 Einwohner müssen davon überzeugt werden, dass eine Zertifizierung durch Cittaslow und der damit verbundene Transformationsprozess durch die Erfüllung des Kriterienkatalogs einen Gewinn an Wohlstand und Lebensqualität bedeutet. Der Prozess gelingt umso besser, je mehr Akteure – Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Bürger – vom Nutzen der Veränderung überzeugt sind. Während des Zertifizierungsprozesses gilt es, die Bürger in möglichst vielen Bereichen miteinzubeziehen, damit ein großes Engagement und eine große Dynamik entfaltet werden kann. Engagement entsteht, wenn die Bürger das Gefühl haben, etwas gestalten und verändern zu können. Das Gefühl der Mitbestimmung ist elementar wichtig, um das Interesse und die Mitarbeit der Bürger zu aktivieren. Was den Prozess vereinfacht, ist, dass es zahlreiche Städte gibt (auch in Österreich sind es deren drei), die bereits zertifiziert sind und bei der Transformation als Vorbild und Hilfe herangezogen werden können. Es kann also auf einen Erfahrungsschatz zurückgegriffen werden, welche Probleme wie gelöst bzw. wie vermieden werden können.

Quellen

[1] Wikipedia-Eintrag zu Cittaslow, https://de.wikipedia.org/wiki/Cittàslow

[2] Satzung von Cittaslow, http://www.citta-slow.de/index.php/konzept/satzung

[3] Ziele von Cittaslow, http://www.citta-slow.de/index.php/konzept/ziele

[4] Kriterienkatalog von Cittaslow, http://www.citta-slow.de/index.php/konzept/kriterienkatalog

[5] Kriterien des Makrobereiches 3 von Cittaslow, http://www.citta-slow.de/images/dokumente/bereich3.pdf

[6] Kriterien des Makrobereiches 5 von Cittaslow, http://www.citta-slow.de/images/dokumente/bereich5.pdf
Kategorie: regionale Resilienz
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