Die Gemeinwohl-Ökonomie versteht sich als umfassende (ökonomische, sozial- und verhaltenswissenschaftliche) Prämissenkritik des Kapitalismus und als konkrete Systemalternative. Diese wird nicht nur theoretisch begründet und gefordert, sondern sie soll in realen Entwürfen mit initiiert werden: Dazu zählen etwa eine "Gemeinwohlmatrix" zur ganzheitlichen Bewertung von Unternehmen oder das Modell einer "Demokratischen Bank" als Schlüsselinstitution des angestrebten "Wirtschaftsmodells mit Zukunft". Umfassend gelingende Beziehungen sind das Ziel, echte Demokratie und rechtliche Anreize das Mittel zur Reintegration bzw. zur "Umpolung" der kapitalistischen Wirtschaft auf kooperatives, demokratisches Gemeinwohlstreben.


Zentraler Referenzpunkt und höchstes Ziel der Gemeinwohl-Ökonomie ist das "Gemeinwohl". Dabei geht es nicht bloß um wirtschaftlich kalkulierbaren Nutzen (wie in einer am BIP orientierten Wirtschaftspolitik). Dieses Gemeinwohl soll sich auch nicht als bloßer Nebeneffekt aus eigennützigen Motiven ergeben (wie im auf Eigennutz und Konkurrenz basierenden Kapitalismus). Die Gemeinwohl-Ökonomie hat vielmehr eine umfassende Vorstellung vom Gemeinwohl und wie man es ohne Widersprüche und Umwege erreichen könnte -- und evtl. sogar messen. Es beruht auf Grundwerten wie Menschenwürde, Solidarität, ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie, die auch die Basis für die Entwicklung konkreter, messbarer Zielgrößen auf individueller, betrieblicher, kommunaler und staatlicher Ebene bilden sollen. Die "Gemeinwohl-Matrix", mit der (bislang v. a.) Unternehmen ihre "Gemeinwohl-Bilanz" ermitteln können, ist bislang das zentrale Instrument der Gemeinwohl-Ökonomie als Graswurzel-Bewegung, die mittlerweile von Tausenden Menschen und Unternehmen weltweit getragen wird. Wenn die Gemeinwohl-Ökonomie dereinst als Wirtschaftsmodell umgesetzt werden sollte, soll ein staatliches "Gemeinwohl-Produkt" zur wirtschaftspolitischen Leitgröße werden -- und was das Gemeinwohl ist, soll dann in einem basisdemokratischen Prozess ermittelt und von einem gewählten "Wirtschaftskonvent" im Verfassungsrang verankert werden.

Der Gemeinwohl-Ökonomie geht es zentral um die Überwindung eines "Wertwiderspruchs". In der Wirtschaft dominieren Konkurrenz, Egoismus, Gewinnstreben und Gleichgültigkeit -- Werte, die unserem moralischen Empfinden und unseren Vorstellungen von einem guten Leben diametral entgegengesetzt sind, die die Gemeinwohl-Ökonomie aber auch für die systemischen Auswüchse dieser Wirtschaftsweise verantwortlich macht. Die Gemeinwohl-Ökonomie soll diesen Wert-Widerspruch aufheben und wirtschaftliches Handeln an denselben Werten orientieren, wie sie für unser alltägliches Zusammenleben bestimmend sind. Dafür soll auf Basis der Gemeinwohl-Ziele im Verfassungsrang eine rechtliche Rahmenordnung sorgen, die gemeinwohldienliche Unternehmen (ersichtlich aus ihrer Gemeinwohlbilanz) durch unterschiedliche Anreize (z. B. Befreiung von Steuern, Zöllen und anderen Abgaben)  belohnt und fördert, gemeinwohlschädliche Unternehmen dagegen bestraft.

Gewinnstreben, Egoismus und Konkurrenz in der Wirtschaft sollen "umgepolt" werden auf Gemeinwohlstreben und Kooperation. Die Finanzbilanz eines Unternehmens würde durch entsprechende Anreizsysteme zur Nebenbilanz, Gewinn vom Selbstzweck zum bloßen Mittel der Förderung des Gemeinwohls, Wachstum vom Sachzwang zum Instrument für Unternehmen, ihre optimale Größe zu erreichen. Gute Zahlen allein würden sich für Unternehmen unter diesen Bedingungen nicht mehr auszahlen. Wirtschaftlicher Erfolg würde vielmehr im Licht gesellschaftlichen Gemeinwohls bewertet.

Die Gemeinwohl-Ökonomie will die Wirtschaft in den Lebenszusammenhang reintegrieren -- resozialisieren. Die Gemeinwohl-Ökonomie soll die ethische Lücke zwischen wirtschaftlichen und moralischen Werten überbrücken. Sie soll die Menschen damit auch von wirtschaftlichen Sachzwängen ebenso entlasten wie von moralischer Überforderung. Sie fordert dazu keinen neuen Menschen -- auch wenn zum Forderungsprogramm der Gemeinwohlökonomie die Einführung gemeinwohlförderlicher Unterrichtsinhalte in den Schulen zählt (ebenso wie übrigens die Beschränkung von Einkommens- und Vermögensungleichheiten, die Resozialisierung von Großunternehmen und die Schaffung von Demokratischen Allmenden in den Bereichen der Grundversorgung und Daseinsvorsorge). Die Menschen sollen in einem ernstzunehmenden demokratischen Prozess ihren Werten und Vorstellungen von einem geglückten, guten und gerechten Zusammen-Leben  Ausdruck verleihen können, und diese Leitwerte im Verfassungsrang sollen dafür sorgen, dass individuelles und Gemeinwohl zusammengehen.


Literatur

Christian Felber (2008): Neue Werte für die Wirtschaft. Eine Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus, Wien.
--- (2012): Die Gemeinwohl-Ökonomie. Eine demokratische Alternative wächst, Wien.
--- (2014): Geld. Die neuen Spielregeln, Wien.

weitere Informationen

offizielle Website der Gemeinwohl-Ökonomie
YouTube-Kanal der Gemeinwohl-Ökonomie

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Das Verhältnis von Ethik und Ökonomik