Drucken
Evergreen cooperatives Logo Die Evergreen Cooperatives sind eine top-down-Initiative der öffentlichen Hand in Kooperation mit anderen öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten Institutionen in der Gemeinde. Im Mittelpunkt der Regionalentwicklungs-Strategie steht dabei die Umleitung öffentlicher Investitionen in die Schaffung von Genossenschaften. Die Initiative zielt darauf ab, regionale Arbeitsplätze zu schaffen und langfristig zu erhalten. Weitere Ziele sind die Stärkung der Kaufkraft in der Stadt und der Nachfrage nach regional erzeugten Gütern und Dienstleistungen. Eine besondere Rolle in dieser Strategie nehmen dabei auch jene Institutionen ein, die die Nachfrage nach den in den Genossenschaften bereitgestellten Gütern und Dienstleistungen sicherstellen.
 


Ausgangslage, Entwicklung und aktueller Stand

Cleveland, Ohio gehörte bis Ende der 1940er Jahre zu den größten Industriestädten Amerikas und war einst die Heimat vieler großer Autohersteller und Stahlproduzenten. Allerdings wanderten nach und nach immer mehr Unternehmen in Billiglohnländer ab. Besonders als die größte Stahlfabrik (Youngstown Sheet and Tube) 1977 schloss und auf einen Schlag 5.000 Arbeitsplätze verloren gingen, stieg die Armutsquote in Cleveland rapide an. Die Bevölkerung ist seither von 915.000 auf 440.000 geschrumpft und mindestens 15.000 Gebäude stehen leer.[1]
Aufgrund der Suburbanisierung, die zunehmend negative ökonomische und besiedlungsstrukturelle Auswirkungen zeigte, machte sich die Stadt Cleveland vermehrt darüber Gedanken, wie sie Arbeitsplätze schaffen und langfristig an die Region binden kann. Daraus folgte die Idee der Gründung des Evergreen-Genossenschaftsverbandes und seiner strategischen Verknüpfung mit öffentlichen Institutionen. Der Evergreen-Genossenschaftsverband orientiert sich am Mondragón Genossenschaftskonzept1 und verfolgt das Ziel, besonders erwerbsschwache BürgerInnen in Cleveland wirtschaftlich zu integrieren und lokale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen. Die Strategie des Genossenschaftsverbandes beruht a) auf der Gründung ökologisch nachhaltiger Unternehmen, b) ihrer strategischen Vernetzung mit großen öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen und c) der Rekrutierung und Ausbildung von BürgerInnen. insbesondere aus den erwerbsschwachen Randbezirken Clevelands.[2]
Die Gründung von Genossenschaften erschien als geeignetste Option. Genossenschaften sind Orte demokratischen Lernens und ermöglichen eine gemeinsame Vermögensbildung. So erhalten die MitarbeiterInnen der Evergreen-Wäschereigenossenschaft im ersten halben Jahr 8 Dollar die Stunde. Wenn die/der MitarbeiterIn für die Tätigkeit geeignet ist, dann steigt das Gehalt nach einem halben Jahr auf 10,50 Dollar die Stunde, wobei ein Teil des Gehaltes auf ein separates Konto fließt. Nach ungefähr sieben Jahren hält jede/r MitarbeiterIn einen gleichen Anteil an der Genossenschaft in Höhe von 65.000 Dollar.[3] Die Genossenschaftsmitglieder nehmen als EigentümerInnen Einfluss auf die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes. Durch die Einbindung öffentlicher und privater Institutionen als Abnehmer der Güter und Dienstleistungen wird die regionale Wertschöpfung gestärkt.

Das Cleveland-Modell

Im Evergreen-Genossenschaftsverband befinden sich seit 2010 drei große Genossenschaften: die Evergreen-Wäschereigenossenschaft, die Ohio-Solargenossenschaft und die Green City-Gemüse-Anbaugenossenschaft.
Die Evergreen-Wäschereigenossenschaft
Die 2008 gegründete Wäscherei wird zum Dienstleister für lokale Einrichtungen wie Krankenhäuser, Hotels, Pflegeheime und Restaurants in Cleveland. Das Geschäftsmodell der Wäschereigenossenschaft wurde vom Ohio Employee Ownership Center der Kent State University, der Democracy Collaborative an der University of Maryland, der ShoreBank Enterprise in Cleveland und der Cleveland Foundation entwickelt.[4] Seit der Gründung konnten mehr als 50 Arbeitsplätze geschaffen werden.[1]
Die Ohio-Solargenossenschaft
Die Ohio-Solargenossenschaft wurde 2009 gegründet und beliefert lokale Einrichtungen mit Sonnenkollektoren. Sie entwickelt Photovoltaik-Anlagen und installiert diese auf den Dächern staatlicher und kommunaler aber auch privater Einrichtungen. Die Genossenschaft hat bereits 20 Arbeitsplätze geschaffen und weitere 100 sind geplant.[2]
Die Green City-Anbaugenossenschaft    
Die 2008 gegründete Anbaugenossenschaft eröffnete 2013 eines der größten hydroponischen Gewächshäuser des Landes für die ganzjährige Produktion von Lebensmitteln. Diese Genossenschaft beliefert regionale Einzel- und Großhändler mit frischem Gemüse. Ziel der Genossenschaft ist es, einen Beitrag zur Nahversorgung mit Lebensmitteln zu leisten und den Konsum der BewohnerInnen von Cleveland in Richtung lokaler und gesunder Lebensmittel zu lenken.[5] Durch diese Genossenschaft entstanden ca. 50 Arbeitsplätze.[1]
Die Stadtregierung ist ökonomischer Partner des Evergreen-Genossenschaftsverbands und wirkt unterstützend bei der Entwicklung weiterer Genossenschaften. Die nachfolgende Abbildung veranschaulicht den Aufbau des Cleveland-Modells:

Quelle: Overview: The Cleveland Model—How the Evergreen Cooperatives are Building Community Wealth [6]
Quelle: Overview: The Cleveland Model—How the Evergreen Cooperatives are Building Community Wealth [6]


Positiver Beitrag zur regionalen Resilienz

Ökologisierung und Autonomisierung der Stadt Cleveland – Schaffung regionaler Wertschöpfung

Das Beispiel von Cleveland zeigt, dass es möglich ist, auch in Strukturkrisen Jobs und regionale Wertschöpfung zu generieren. Zuvor gaben öffentliche Institutionen in Cleveland, wie Krankenhäuser, Universitäten oder Pflegeheime, aber auch private Einrichtungen (Gastgewerbe etc.) mehrere Millionen Dollar jährlich für Güter und Dienstleistungen außerhalb von Cleveland aus. Durch die Evergreen-Initiative zirkulieren diese Geldmittel nun in der eigenen Region.[7 : 6] Da die öffentlichen Institutionen den Aufbau regionaler Unternehmen finanziell unterstützen und gleichzeitig zu HauptabnehmerInnen der lokal erzeugten Güter und Dienstleistungen werden, entsteht regionale Wertschöpfung. Außerdem zirkulieren und verbleiben die erwirtschafteten Gewinne der gegründeten Genossenschaften in der Region. So ist jede Evergreen-Genossenschaft dazu verpflichtet, mindestens 10% ihrer Gewinne vor Steuern in den Evergreen Cooperative Development Fund einzuzahlen. Dieser Fonds schafft durch finanzielle und beratende Unterstützung Anreize für die Bildung weiterer Genossenschaften, die sich an der Vision und den Zielen der Evergreen-Initiative orientieren.[1] Das Cleveland-Modell wirkt weiters aktiv den negativen Auswirkungen der Suburbanisierung entgegen, indem sie eine regionale Wertschöpfung fördert, was wiederum die Stadt attraktiver macht und die Stadtflucht verhindert. Zudem wurden mehr als 200 Arbeitsplätze geschaffen. Bei der Auswahl der Beschäftigten/zukünftigen GenossenschafterInnen werden BewohnerInnen aus marginalisierten Gruppen bevorzugt, was langfristig einen Beitrag zur Reduzierung der Armutsquote darstellt. Durch die Gründung von Unternehmen und die gleichzeitige Sicherung der Nachfrage wird eine regionale Autonomisierung der Stadt gefördert, was zu einer Stabilisierung der regionalen Wirtschaft führt.

Zudem verfolgt die Evergreen-Initiative das Ziel, die Genossenschaften nachhaltig ökologisch auszurichten. So gilt die Wäschereigenossenschaft als ökologischste Wäscherei in ganz Nordost-Ohio.[1] Der Einsatz von Chemikalien, Wasserverbrauch und die CO²-Emissionen werden minimiert.[8] Die ökologisch nachhaltige Ausrichtung der Genossenschaften, wie auch das Wegfallen langer Transportwege durch die Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten tragen zur Ökologisierung der Stadt Cleveland bei.

Subsidiarität - Sinnvolle Neubestimmung regionaler Eigenversorgung

Dem Prinzip der Subsidiarität wird dadurch entsprochen, dass in Cleveland das Verhältnis zwischen Fremdbezug und Eigenproduktion neu organisiert wird. Die Güter und Dienstleistungen der lokalen Genossenschaften werden direkt in der Region konsumiert. Die Wäschereigenossenschaft wird zum Dienstleister regionaler Einrichtungen, die Solargenossenschaft sorgt für saubere Energie im direkten Umfeld und die Anbaugenossenschaft beliefert ansässige Einzel- und GroßhändlerInnen mit regionalen Lebensmitteln. Der Aufbau weiterer Genossenschaften ist in Planung. So werden schrittweise lokale Versorgungsstrukturen aufgebaut, die einen höheren Grad an Eigenversorgung sicherstellen.

Straffe Feedbacks durch demokratische Mitbestimmung und regionale Einbettung

Gerade lokal verwurzelte Unternehmen schaffen langfristig sichere Arbeitsplätze, da sie sich stärker an den Bedürfnissen der lokalen Gemeinschaft orientieren und entsprechend anpassen. Genossenschaftliche geführte Klein- und Mittelbetriebe verstärken zudem die bedarfsorientierte Produktion von Gütern und Dienstleistungen, weil die MitarbeiterInnen, die zugleich auch MiteigentümerInnen des Unternehmens sind, das unternehmerische Handeln stärker an der Befriedigung der Bedürfnisse ihrer eigenen Lebenswelt ausrichten. Die demokratische Orientierung an konkreten Bedürfnissen vor Ort sorgt – im Chargon der Resilienzforschung – für straffe Feedbacks, d. h. die enge, relokalisierte Verkettung von Ursachen und Wirkungen fördert eine höhere Verantwortlichkeit für das unmittelbare Lebensumfeld. Durch die regionale Einbettung unternehmerischen Handelns werden die (ökologischen) Auswirkungen unmittelbar wahrgenommen und nicht als „externe Effekte“ auf die Gemeinschaft abgewälzt. Vermutlich wird kein/e MitarbeiterIn dafür stimmen, das eigene Umfeld ökologisch zu belasten.

Stärkung der lokalen Gemeinschaft – Aufbau regionaler Selbstorganisation und Entwicklung des lokalen Know-Hows

Alle im Unternehmen können gleichermaßen vom Erfolg des Unternehmens profitieren. Geteilt werden natürlich auch Verluste. Dadurch sind alle MitarbeiterInnen am langfristigen Bestehen des Unternehmens interessiert, da sie nicht nur ArbeitnehmerInnen, sondern auch gleichberechtigte Teilhabende des Unternehmens sind. Damit ermöglichen die Evergreen Cooperatives geteiltes Eigentum und demokratische Kontrolle, was die Motivation zum Selbstaktivwerden der MitarbeiterInnen begünstigt und den Aufbau regionaler Selbstorganisation fördert.
Durch die Integration von Menschen aus erwerbsschwachen Randbezirken wirkt das Cleveland-Modell sozial-integrativ. Die Evergreen Cooperatives bieten Bildungsmaßnahmen, um auch Menschen mit niedrigem Bildungsniveau wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.[5] Durch diese Integrationsmaßnahmen wird die lokale Gemeinschaft Clevelands gefördert und gestärkt. Darüber hinaus wird das lokale Wissen entwickelt und genutzt.

Erfolgsfaktoren

Der zentrale Erfolgsfaktor des Cleveland-Modells ist die strategische Kooperation unterschiedlicher Akteure. Die Rolle der öffentlichen Institutionen, die neben der Anschubfinanzierung auch einen Teil der Nachfrage der lokal erzeugten Dienstleistungen und Produkte der Genossenschaften sicherstellen, ist dabei von zentraler Bedeutung.
Die Gründung der jeweiligen Genossenschaften wurde durch die finanzielle Unterstützung öffentlicher Institutionen möglich. Für die Errichtung der Wäschereigenossenschaft wurden insgesamt 5,8 Millionen Dollar von verschiedenen öffentlichen Institutionen Clevelands bereitgestellt. 1,5 Millionen Dollar stellte das Ministerium für Wohnungs- und Städtebau zur Verfügung, 1,8 Millionen Dollar kamen aus Steuergutschriften, 750.000 Dollar von der Cleveland Foundation und 1,5 Millionen Dollar von zwei Banken in Cleveland.[4] Neben der Anschubfinanzierung für die Gründung der Genossenschaften werden die institutionellen UnterstützerInnen gleichzeitig zu GroßabnehmerInnen der produzierten Güter und Dienstleistungen der regionalen Genossenschaften. Die einzelnen Genossenschaften erhalten finanzielle wie auch beratende Unterstützung vom lokalen Genossenschaftsverband.
Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die regionale Einbettung der Unternehmen in die Gemeinschaft und die Demokratisierung. Die Genossenschaften werden sowohl von den Beschäftigten wie auch von anderen Community-Mitgliedern als „ihre“ Unternehmen wahrgenommen, die nicht für auswärtige Shareholder, sondern für das Gemeinwohl tätig sind.

Möglichkeiten der Unterstützung durch die öffentliche Hand

Genossenschaften können viele positive Effekte bewirken: ein stärker bedarfs- statt profitorientiertes Wirtschaften, eine dynamische Anpassung auf bevorstehende Herausforderungen, die Schaffung von Arbeitsplätzen, demokratisches Lernen, usw. Eine Förderung derartiger Unternehmen durch die öffentliche Hand ist deshalb sehr sinnvoll. Steuervergünstigungen oder Subventionen können gezielt Anreize für die Gründung von Genossenschaften schaffen. Die öffentliche Hand sollte auch eine Vermittlerfunktion und Ermöglicherfunktion erfüllen, indem sie strategisch wichtige Akteure vernetzt, an der Agendasetzung beteiligt ist und das Netzwerk laufend unterstützt.
Von besonderer Bedeutung für das Gelingen derartiger Initiativen ist die Sicherstellung der Abnahme der erzeugten Güter und Dienstleistungen. Eine Reorientierung des öffentlichen Beschaffungswesens und eine Informationskampagne über den Nutzen derartiger Initiativen würden darüber hinaus unterstützend wirken.
Die Adaption des Cleveland-Genossenschaftsmodells empfiehlt sich dabei besonders für Orte, die peripher gelegen, von einer starken Abwanderung der Bevölkerung betroffen sind, dabei aber noch über entsprechende Infrastruktur, räumliche Möglichkeiten, vielfältige Kompetenzen der Bevölkerung und Beziehungen mit kleineren Umlandgemeinden verfügen (wie beispielsweise Eisenerz).


Quellen

[1] Alperovitz, G./ Howard, T./ Dubb, S. (05.06.2009) im Yesmagazin: http://www.yesmagazine.org/issues/the-new-economy/clevelands-worker-owned-boom, zuletzt besucht am 10.11.2016
[2] Alperovitz, G./ Wiliamson, T./ Howard, T. (11.02.2010) in The Nation: https://www.thenation.com/article/cleveland-model/, zuletzt besucht am 01.11.2016
[3]    Breckenridge, (20.10.2009) auf Cleveland.com: http://www.cleveland.com/business/index.ssf/2009/10/evergreen_cooperative_laundry.html, zuletzt besucht am 11.11.2016
[4] Grassroots Economic Organizing, Geo Newsletter: http://www.geonewsletter.org/node/484, zuletzt besucht am 19.12.2016
[5] Bradley, B. (12.06.2013) auf Next City: https://nextcity.org/daily/entry/clevelands-evergreen-cooperatives-finding-better-ways-to-employ-locals-keep, zuletzt besucht am 10.11.2016
[6] Community-Wealth.org, Overwiew: The Cleveland Model—How the Evergreen Cooperatives are Building Community Wealth: http://community-wealth.org/content/cleveland-model-how-evergreen-cooperatives-are-building-community-wealth, zuletzt besucht am 17.12.2016
[7] Institute for Sustainable Communitites, Case Study auf: http://sustainablecommunitiesleadershipacademy.org/resource_files/documents/Cleveland,%20OH_1.pdf, zuletzt besucht am 19.12.2016
[8] Brodwin, D. (21.07.2016) im U.S. News & World Report: http://www.evgoh.com/2016/08/10/a-cleveland-success-story-u-s-news-world-report/, zuletzt besucht am 19.12.2016
Kategorie: regionale Resilienz
Zugriffe: 8137