Der World Happiness Index (WHI) wird seit dem Jahr 2000 von der französischen Initiative Globeco für 60 Länder berechnet, um daraus einen globalen Gesamt-Index des "globalen Lebensglücks" zu berechnen. Er kann methodologisch auch als Meta-Index betrachtet werden, der insgesamt 40 Indizes anerkannter internationaler Institutionen zu vier Dimensionen des Lebensglücks zusammenfasst.
Selbstverständnis und Motivation
Globeco, die französische Trägerorganisation des WHI, sieht ihren Index in der Tradition des HDI - Human Development Index. Der World Happiness Index würde aber weiter gehen in dem Ansinnen, die Fehler und Grenzen des BIP zu überwinden. Das BIP ist zwar ebenfalls Teil der Berechnung des WHI -- allerdings bloß eine von insgesamt 40 Messgrößen, die gleichwertig zum "Lebensglück" der Bevölkerung eines Landes beitragen sollen. Der WHI ermittelt aber primär kein Länderranking, sondern er repräsentiert den allgemeinen Zustand der Welt hinsichtlich des Lebensglücks ihrer BewohnerInnen.
Methodik
"Lebensglück" oder "happiness" wird im WHI auf vier Dimensionen heruntergebrochen, die durch jeweils 10 Indizes aus verlässlichen Quellen (UNDP, WB, WHO, SIPRI, Amnesty, HCR ...) umfassend erfasst werden sollen:
- Frieden und Sicherheit, gemessen durch 1 – Anzahl nuklearer Gefechtsköpfe, 2 – Todesopfer durch kriegerische bewaffnete Konflikte, 3 – Militärausgaben, 4 – Todesopfer durch Gewaltverbrechen, 5 – Flüchtlinge, 6 – Opfer natürlicher oder technologischer Katastrophen, 7 – Korruption, 8 – ökonomische und finanzielle Sicherheit, 9 & 10 – Wahrscheinlichkeit des Ablebens vor Erreichen des 60. Lebensjahres
- Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, gemessen durch 1 – Menschen, die weltweit in Freiheit leben, 2 – Niveau demokratischer Mitbestimmung, 3 - Pressefreiheit, 4 – Kinderrechte & -sterblichkeit, 5 – Todesstrafe, 6 – Frauenrechte & GDI, 7 – Anteil weibl. ParlamentarierInnen, 8 – Frauenanteil in der Schulbildung, 9 – 10 - aktueller Buben- & Mädchenanteil in Schulen
- Lebensqualität, gemessen an 1 – BIP pro Kopf, 2 – Verteilungsdisparität des BIP, 3 – Lebenserwartung bei Geburt, 4 - Armuts-Index, 5 – GINI-Koeffizient, 6 - Selbstmorden, 7 – CO2-Emissionen, 8 – Waldfläche pro Kopf, 9 – Wasser und Hygiene, 10 – Luftqualität
- Forschung, Bildung, Information, Kommunikation, Kultur, gemessen durch 1 – Forschungs- und Entwicklungsausgaben, 2 & 3 – höchste erlangte Schulbildung nach Geschlecht, 4 – Alphabetisierungsrate, 5 – Ungleichheiten im Zugang zu Bildung, 6 – Auflage von Tageszeitungen pro Kopf, 7 – Bildung in unterentwickelten Ländern, 8 – Internet, 9 – Anzahl aufgeführter Filme, 10 – internationale Tourismusreisen
Die erhobenen Daten stammen aus relativ verlässlichen, offiziellen Quellen, werden regelmäßig aktualisiert und sind für eine relative große Zahl von Ländern verfügbar. Der WHI errechnet sich daraus als Durchschnittswert dieser 40 Indizes. Primär wird daraus ein Gesamt-Score des globalen Lebensglücks ermittelt, dessen Entwicklung bis zum Jahr 2000 (Basiswert 100) zurückverfolgt werden kann. Auf Basis von 20 Indizes lässt sich auch ein Vergleich von bislang 60 Ländern oder 90% der Weltbevölkerung hinsichtlich der vier Dimensionen anstellen -- das Länderranking liefert ähnliche Ergebnisse wie die verbreiteten Indizes BLI - Better Life Index, LPI - Legatum Prosperity Index, SPI - Social Progress Index.
Aussagekraft
Die Teilindizes und -indikatoren des WHI sind für sich genommen relevant, die Datenlage ist vergleichsweise gut. Die Aussagekraft des WHI leidet eher unter der schwachen, schwer nachvollziehbaren Operationalisierung des Konzepts des "Lebensglücks". Zum einen erscheint die jeweilige Zuordnung der Indikatoren zum einen oder anderen Bereich in einigen Fällen recht fragwürdig. Dieser Schwachpunkt relativiert sich zwar dadurch, dass der WHI letztlich den Durchschnitt aus allen Teilindizes und -indikatoren bildet. Allerdings stellt sich dann die Frage, was ein Durchschnittswert aus letztlich sehr heterogenen Merkmalen, die in ganz unterschiedlichen Einheiten vorliegen und deren Auswahl letztlich recht willkürlich erscheint, eigentlich aussagen soll. Sicherlich sagt der WHI damit etwas aus über den Zustand der Welt in einer Reihe hoch relevanter Bereiche gesellschaftlicher Entwicklung und individuellen Lebensglücks -- aber was das genau sein soll, darüber lässt sich nur spekulieren. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der WHI zwar seinem Anspruch nach "happiness" messen möchte, dass er aber keinen einzigen subjektiven Indikator enthält, der dieses Lebensglück unmittelbar abfragen könnte.
Praxis
Die Ergebnisse des WHI werden jedes Jahr in aktualisierter Form für das abgelaufene Jahr von der französischen Organisation Globeco veröffentlicht -- unmittelbar praktische Relevanz hat der WHI aber keine.
Plus/Minus
+
- gute Sammlung relevanter, relativ verlässlicher offizieller Indikatoren & Indizes
-
- schwaches, schwer nachvollziehbares Konzept
- fragwürdige Zuordnung der einzelnen Indikatoren & Indizes zu den vier Dimensionen
- Berechnung eines Durcschnittswerts aus 40 heterogenen Messgrößen hat wenig Aussagekraft
- obwohl "Lebensglück" gemessen werden soll, enthält WHI keine subjektiven Indikatoren
Quellen
[1] Factsheet "World Happiness ndex" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] “L’indice du Bonheur mondial et le classement par pays” >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Der Happy Planet Index (HPI) wurde 2006 von der britischen new economics foundation (nef) als "headline indicator" für gesellschaftlichen Fortschritt entwickelt. Als Basis dafür dienen der Index der Happy Life Expectancy, Vorläufer des Konzepts der HLY - Happy Life Years, und der Index des EFP - Ecological Footprint. Sie werden zu einem Quotienten verschmolzen, der als "Effizienzmaß" darüber Auskunft geben soll, wie viele glückliche Lebensjahre mit einem bestimmten Ressourceninput aktuell "produziert" werden.
Selbstverständnis und Motivation
Der Happy Planet Index (HPI) wird von seinen ErfinderInnen am Centre for Well-Being der nef als "index of sustainable well-being" verstanden. Er beschränkt sich auf ganz wenige essentielle Aspekte des Wohlbefindens ("measuring what matters"), kommt dabei ohne klassische ökonomische Kennzahlen aus und präsentiert sich damit als alternatives, wirklich universell anwendbares Vergleichsmaß für die Leistungsfähigkeit einer Regierung "to produce happy, healthy lives now and in the future" [1] -- eine Zielsetzung, von der arme und reiche Länder aus unterschiedlichen Gründen noch jeweils relativ weit entfernt sind, weil Wirtschaftswachstum Lebensglück nur eingeschränkt positiv, Nachhaltigkeit dagegen massiv negativ beeinflusst -- auch darauf will der HPI hinweisen.
Methodik
Der HPI vereint wenige, objektive und subjektive, ökonomische, soziale und ökologische Kennzahlen zu einem Effizienzmaß dafür, wie viele lange und glückliche Menschenleben auf einer bestimmten Fläche mit welchem Aufwand an natürlichen Ressourcen "produziert" werden können.
Rechnerisch ergibt sich der HPI als Quotient aus einer Indexzahl für "glückliche Lebensjahre" und dem EFP - Ecological Footprint:
HPI = subjektives Wohlbefinden x Lebenserwartung / ökologischer Fußabdruck
Der HPI lässt sich entweder als standardisierter Index auf einer Skala von 0-100 ausgeben, oder als graphischer Plot aus glücklichen Lebensjahren (meist y-Achse) und ökologischem Fußabdruck (meist x-Achse). Für jede der Komponenten gibt es nahezu weltweit verfügbare, in einheitlicher Form erhobene Daten: Subjektives Wohlbefinden wird aktuell mit dem Instrument "Ladder of Life" der Gallup World Poll erhoben, welche die Zufriedenheit mit der persönlichen Lebenssituation insgesamt, auf einer Skala von 0-10, messen soll. Daten zur Lebenserwartung entstammen dem UNDP Human Development Report. Der "ökologische Fußabdruck" wird nach der Methode und auf Basis der Daten des WWF berechnet. Aktuell lässt sich der HPI auf Basis dieser Daten für mehr als 150 Länder berechnen und vergleichen.
Aussagekraft
Der HPI lässt sich als abstrakte Maßzahl für das Ideal einer nachhaltigen Entwicklung interpretieren, welche -- gemäß der kanonisch gewordenen "Brundtland-Definition" -- "die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können". Die damit konkret gemessene Zielsetzung "to produce happy, healthy lives now and in the future" stellt eine zugleich essentielle wie universelle Herausforderung im Rahmen einer solchen nachhaltigen Entwicklung dar. Der HPI verdichtet dazu bestehende Indizes, besteht aber dennoch aus vergleichsweise wenigen Messgrößen. Angesichts der hohen Validität der einzelnen Indikatoren, der relativ verlässlichen Datenbasis und der Möglichkeit, den HPI wahlweise als Quotient oder als graphischen Plot auszugeben, ergibt sich hier aber -- gerade auch im Vergleich zu anderen, weitaus komplexeren Indizes -- ein bestechend günstiges Verhältnis zwischen Einfachheit und Aussagekraft. Die Aussage des HPI erscheint vor diesem Hintergrund klar, gültig, verlässlich und universell.
Empirisch zeigt der HPI ganz deutlich, dass Wohlbefinden und ökologische Nachhaltigkeit nicht einfach durch "mehr Wirtschaft", gemessen am BIP, zu haben sind -- ganz im Gegenteil: Ein wirklich enger kausaler Zusammenhang mit der Entwicklung des BIP lässt sich lediglich für die Lebenserwartung nachweisen. Wohlbefinden hat dagegen ab einem bestimmten Grad wirtschaftlicher Entwicklung nur mehr wenig mit Wirtschaftswachstum zu tun, und ökologische Nachhaltigkeit wird eher deutlich negativ davon beeinflusst.
Im Ländervergleich auf Basis des HPI schneiden dementsprechend relativ überraschend ganz andere Länder am besten ab als bei den anderen, alternativen Länderrankings auf Basis bspw. des BLI - Better Life Index, LPI - Legatum Prosperity Index oder SPI - Social Progress Index, die sich im Ranking kaum unterscheiden. Vorne liegen nämlich Länder wie Costa Rica oder Kolumbien, aber auch Vietnam, die in allen Bereichen relativ gut abschneiden -- auch wenn sie nicht perfekt sind. Indes: Bangladesh liegt auf Rang 11, Albanien als mit Abstand bestes europäisches Land (noch einige Plätze vor Norwegen) auf Rang 18. Länder mit hohem Wohlstandsniveau auf Basis eines unverantwortbaren ökologischen Fußabdrucks landen dagegen bestenfalls im Mittelfeld -- ein Land wie Qatar findet sich gar an vorvorletzter Stelle. Wenn auch weitgehend intuitiv nachvollziehbar, bringt dieses Ranking herkömmliche Vorstellungen von gesellschaftlicher Entwicklung doch ordentlich ins Wanken -- was an sich gut und richtig ist. Zugleich macht sich das Fehlen weiterer (z. B. politischer, sozialer und kultureller) Indikatoren im Einzelfall doch negativ bemerkbar: Im Fall von Qatar meint man vielleicht darauf verzichten zu können, im Fall von Albanien oder Bangladesh wohl eher nicht.
Aktuell kann der HPI deshalb v. a. als heuristisches Tool, als Prototyp für eine neue Sozial- und Wirtschaftsstatistik, und als erfrischender Beitrag zur Debatte um nachhatigen gresellschaftlichen Fortschritt betrachtet werden. nef beteiligt sich davon ausgehend an der Entwicklung eines Systems ähnlich aufgebauter Indizes oder "headline indicators", die gesellschaftlichen Fortschritt in umfassender Weise -- hinsichtlich seiner Ziele, der dafür notwendigen Ressourcen, Prozesse und Systeme -- messen soll, die nicht nur methodologisch möglichst wasserdicht, sondern v. a. politisch relevant und brauchbar ist.
Praxis
Die Aussage des HPI lässt sich auch zu einer überzeugenden politischen Forderung verdichten: Im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung geht es darum, das Leben der Menschen konkret zu verbessern und das nicht auf Kosten anderer, der natürlichen Umwelt und künftiger Generationen zu tun. In diesem Sinne lässt sich der HPI auch als Zielwert definieren (z. B. ein Wert von 89 bis 2050), basierend auf aus heutiger Sicht erreichbaren Zielgrößen in allen Bereichen. Um die Umsetzung dieser Ziele politisch verbindlich zu machen, schlägt nef eine sogenannte Happy Planet Charter vor, die von Regierungen unterzeichnet werden soll, die das Ziel, nachhaltiges soziales Wohlbefinden für alle sicherzustellen, an die erste Stelle ihrer Bemühungen stellen wollen. Hoffnung setzt man dabei nicht zuletzt in die UNO, die den HDI (oder ein ähnlich ausgestaltetes, erweitertes Indikatorensystem) im post-MDG Rahmenwerk ab 2016 verankern könnte.
Plus/Minus
+
- überzeugend konzipiert, klar & einfach verständlich
- vereint subjektive & objektive Messgrößen
- vereint soziale, ökon. & ökol. Aspekte in innovativer Weise
- konzipiert ökonomische Größen als Mittel zum Zweck, nachhaltiges Wohlbefinden für alle zu schaffen
- macht deutlich, dass die Herausforderungen für alle Staaten - ob reich oder arm - im wesentlichen dieselben sind
- macht deutlich, dass das alles in erster Linie keine methodologischen, sondern politische Fragen & Entscheidungen sind
- zeigt ein völlig anderes Bild von "fortgeschrittenen Ländern"
-
- hat natürlich Lücken
- liefert teils fragwürdige Ergebnisse (z. B. die guten Platzierungen von Bangladesh und von Albanien als bestes europäisches Land)
Quellen
[1] Factsheet "Happy Planet Index" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Happy Planet Index >> OFFIZIELLE WEBSITE
[3] Stiglitz et al. 2009 : 52
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Der Canadian Index of Wellbeing (CIW) wurde 1999 von der Atkinson Charitable Foundation (ACF) initiiert und bis 2010 getragen. Seit 2011 werden Entwicklung und Erhebung des CIW landesweit von der Faculty of Applied Health Sciences an der University of Waterloo betreut.
Selbstverständnis und Motivation
Der CIW basiert auf einer komplexen Vorstellung von "Wohlbefinden" ("wellbeing") im Sinne umfassender Lebensqualität. Er soll als statistisches Instrument die vielfältigen, objektiven und subjektiven Ausprägungen dieses Wohlbefindens in ihrer Entwicklung erfassen und als politisches Instrument CanadierInnen dazu "empower[n] ... to hold governments accountable for their actions and decisions." [1]
Methodik
Der CIW ist ein zusammengesetzter Index, der "Wohlbefinden" ("wellbeing") in acht Bereichen und anhand 64 Indikatoren messen soll:
- guter Lebensstandard, gemessen durch Vergleich oberstes/unterstes Einkommensquintil, Medianeinkommen, Anteil Niedriglohnbezieher, ökonomische Sicherheit, Langzeitarbeitslose, Erwerbsquote, Jobqualität, erschwingliches Wohnen
- robuste Gesundheit, gemessen durch Einschätzung eigener Gesundheit, Diabetes-Fälle, Lebenserwartung bei der Geburt, Anteil rauchender Teeenager, Häufigkeit von Depressionen, Zufriedenheit mit Gesundheitsversorgung, Anteil grippegeimpfter SeniorInnen, prospektive gesunde Lebensjahre
- nachhaltige Umweltnutzung, gemessen durch bodennahes Ozon, absolute THG-Emissionen, Primärenergieproduktion, Wasserverbrauch, Umgang mit nicht-erneuerbaren Energie- & Metallreserven, Living Planet Index, Meereslebewesen
- lebendige Gemeinschaften, gemessen durch Anteil Vereinsangehöriger, Anteil derer mit mehr als sechs engen Freunden, Eigentumsdelikt- & Gewaltverbrechensrate, Anteil derer die sich sicher fühlen nachts alleine zu gehen, Anteil derer die angeben sich nicht um andere Leute zu kümmern, Anteil der Hilfsbereiten, Anteil derer, die sich ihrer lok. Gemeinschaft zugehörig fühlen
- gut ausgebildete Bevölkerung, gemessen durch Angebot an Kinderkrippen, Anteil gut entwickelter Kinder, Lehrer-Schüler-Quotient, Ausmaß sozialer und emotionaler Kompetenz bei Jugendlichen, Erwerb grundlegender Kenntnisse und Fertigkeiten von 13-15jährigen, Einfluß soziodemograph. Merkmale auf PISA-Test, Anteil der High School-Absolventen
- ausgewogene Zeitverwendung, gemessen durch Anteil derer, die über 50h/Woche arbeiten, empfundener Zeitdruck in der Arbeit, Anteil freiwilliger Helfer für SeniorInnen, Anteil aktiver & "ehrenamtlicher" SeniorInnen, Anteil Jugendlicher die mehr als 2h fernsehen & videospielen, Anteil der Kinder mit regelmäßigen struktur. Aktivitäten, Anteil der Kleinkinder denen regelmäßig vorgelesen wird
- hohe demokratische Beteiligung, gemessen durch Wahlbeteiligung bei gesamtstaatl. Wahlen, Anteil der Politikverdrossenen, Anteil derer die Wählen für eine Bürgerpflicht halten, Anteil der mit dem polit. Prozess wenigstens Zufriedenen, Anteil der mit den Ergebnissen staatl. Politik insgesamt Zufriedenen, Verhältnis registrierte & stimmberechtigte Wähler, Frauenanteil im Parlament, Anteil der öffentl. Entwicklungshilfe am BNE
- Zugang zu und Teilnahme an Freizeit- und kulturellen Aktivitäten, gemessen durch durchschnittl. aufgewendete Zeit für soziale Freizeitaktivitäten, kulturelle Aktivitäten, Freiwilligenarbeit für kulturelle und rekreative Einrichtungen, körperl. Aktivität über 15', Anzahl der besuchten Kulturveranstaltungen, Aufenthalte in der Natur, Urlaubsaufenthalte, Anteil der Ausgaben für kulturelle & Freizeitaktivitäten am Haushaltsbudget
Die Bereiche wurden auf Basis von Erhebungen und Befragungen in der kanadischen Bevölkerung bestimmt -- was den CIW als citizen-driven index hinsichtlich seiner Einbindung der Betroffenen (zumindest bei der Konzeption) einzigartig macht. Als percentage change index werden die Veränderungen in jedem der acht Bereiche seit 1994 (dem Basisjahr) verfolgt. 2011 wurde die Entwicklungsphase des CIW-Index abgeschlossen, seither werden Daten (nunmehr von der University of Waterloo) regelmäßig veröffentlicht und auch mit der Entwicklung des BIP verglichen.
Aussagekraft
Der CIW kann sowohl als aggregierter Gesamt-Index als auch als Tableau von Teil-Indizes der acht unterschiedenen Bereiche ausgegeben werden. Damit lässt sich einerseits die Entwicklung des Wohlbefindens der CanadierInnen insgesamt beobachten und ggf. mit der des BIP vergleichen, andererseits lässt sich damit auch untersuchen, welche Bereiche sich besser, welche schlechter -- oder sogar negativ -- entwickeln und wie diese Entwicklungen miteinander und z. B. auch mit Wirtschaftswachstum zusammenhängen. Angesichts der Fülle relevanter Daten kann der CIW für diesen Zweck als hoch valide angesehen werden. Angesichts der noch mangelnden Qualität und Lückenhaftigkeit der Daten muss die Verlässlichkeit des Index noch mit Vorsicht betrachtet werden. Damit erweist er sich auch hinsichtlich seiner methodologischen Qualitäten als komplementäres Korrektiv des BIP (verlässlich, aber kaum gültig als Maßzahl für Wohlbefinden). Seit die University of Waterloo 2011 die Patronanz des CIW übernommen hat, wird laufend an der Verbesserung (Ergänzung, Konsolidierung) der Datengrundlage und auch der Zusammenarbeit mit offiziellen statistischen Behörden gearbeitet.
Praxis
2011 wurde der erste nationale Bericht auf Basis des CIW erstellt -- 2014 folgte der erste Bericht auf Provinzebene für Ontario. Der nationale CIW zeigt einen deutlich geringeren Anstieg seit Mitte der 1990er im Vergleich zum BIP im selben Zeitraum: nur knapp 6% statt des fast 30%igen Wirtschaftswachstums, mit einem deutlichen Knick mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darin offenbart sich zwar der enge Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung -- vor allem vermittelt durch die Abhängigkeit von Geld zur Stillung materieller und immaterieller Bedürfnisse. Zugleich weisen gerade die Bereiche Freizeit- und kulturelle Aktivitäten sowie natürliche Umwelt auch in Zeiten des BIP-Wachstums deutlich negative Werte auf.
Der CIW macht damit deutliche und politisch hoch relevante Aussagen über die Entwicklung der Lebensqualität. Er wird allerdings momentan in relativ langen Abständen berechnet (zuletzt für 2010), was seine Brauchbarkeit für die Praxis deutlich schmälert. Die Bedeutung des CIW liegt deshalb momentan noch vor allem in der Schaffung öffentlicher Aufmerksamkeit für Fragen der Lebensqualität und der Kosten des Wirtschaftswachstums. Um unmittelbar politisch stärker wahrgenommen zu werden, sollen indes relevante Organisationen, Behörden und politische EntscheidungsträgerInnen auch unmittelbar stärker über die Bedeutung des CIW informiert und zur Zusammenarbeit gewonnen werden.
Plus/Minus
+
- sehr umfassendes Konzept des Wohlbefindens
- gute, valide Indikatoren
- guter Mix aus objektiven und subjektiven Indikatoren
- beinhaltet keinerlei Daten der VGR, steht damit für ein "Gegenmodell" zur ökonomischen Wohlstandsmessung
-
- keinerlei Integration in die VGR
- mangelnde Verlässlichkeit der Daten
Quellen
[1] Factsheet "Canadian Index of Wellbeing" >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Canadian Index of Wellbeing >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Der Index zur Erhebung des Bruttonationalglücks (BNG -- engl. Gross National Happiness - GNH) geht auf eine Initiative des Königs von Bhutan, Jigme Singye Wangchuk, von Anfang der 1970er zurück -- der sich wiederum auf einen Gesetzestext aus dem 18. Jahrhundert berufen haben soll,eine Regierung hätte keine Legitimation, wenn sie nicht für das Glück ihrer Bürger sorgen könnte. Konzipiert wurde der BNG-Index allerdings erst im Jahr 2008, von einer eigens eingesetzten staatlichen Kommission, wissenschaftlich betreut durch das Centre for Bhutan Studies. Demokratisch legitimiert ist dieses Unterfangen auch heute noch nicht -- was die Beteiligung der eigentlich Betroffenen, der Bevölkerung, an der Erhebung des Bruttonationalglücks und die Anbindung an die politische Praxis angeht, sticht der BNG-Prozess indes immer noch positiv aus dem "Ländergütesiegeldschungel" hervor.
Selbstverständnis und Motivation
Das BNG versteht sich als ganzheitlicherer Bezugsrahmen für Lebensstandard in seinen subjektiven und spirituellen Dimensionen -- und damit als Ergänzung und Gegenentwurf zum BIP, das lediglich Geldflüsse abbildet. Eine nachhaltige Entwicklung, so der Grundgedanke dahinter, kann es nur in Harmonie materieller, kultureller und spiritueller Elemente geben, die einander ergänzen, bedingen und bestärken. Der BNG-Index soll es erlauben, diese Entwicklung zu beobachten und v. a. die Lebensbedingungen der noch weniger glücklichen Einwohner zu verbessern. Dafür wird er unmittelbar und verbindlich in politische Prozesse eingebunden.
Methodik
Der BNG-Index ist ein multidimensionaler, zusammengesetzter Indikator, der -- entgegen seinem Namen -- nicht bloß subjektives Wohlbefinden und Glück misst, sondern auch soziale und ökologische Lebensumstände, wie sie sich für die unmittelbar davon Betroffenen darstellen. Das Konzept des BNG beruht auf vier Grundprinzipien: guten Regierungs- und Verwaltungsstrukturen, einer nachhaltigen bzw. sozial gerechten sozio-ökonomischen Entwicklung, der Bewahrung und Förderung kultureller Werte und derm Schutz der Umwelt.
Der BNG-Index umfasst in seiner aktuellen Fassung neun Bereiche des "Wohlbefindens", die es erlauben, ein "gutes Leben" nach den genannten Grundprinzipien des GNH führen zu können, und die ihrerseits durch 33 Einzel-Indikatoren gemessen werden sollen:
- psychologisches Wohlbefinden
- Lebensstandard
- Good Governance (also gute Regierungs- & Verwaltungsstrukturen
- Gesundheit
- Bildung
- kommunale Vitalität
- kulturelle Diversität & Resilienz
- Zeitverwendung
- ökologische Vielfalt & Resilienz
Die 33 Indikatoren werden seitens des Center for Bhutan Studies, welches die Entwicklung und Erhebung des BNP wissenschaftlich betreut, als statistisch verlässlich, normativ wichtig und leicht verständlich/kommunizierbar erachtet. Der BNP wird in der Art eines statistisch repräsentativen Surveys per Fragebogen erhoben, dabei werden Fakten-, Einstellungs- und Befindensfragen gestellt. Beim letzten GNH Survey 2010 wurden 7142 BürgerInnen befragt -- für 6476 (90,7%) gab es genügend Daten. Die Auswertung der Daten erfolgt auf drei verschiedene Arten: Beim "headcount" wird der Anteil der "Glücklichen" an der Bevölkerung (jene mit guten Werten in mindestens sechs Bereichen) ermittelt, im Hinblick auf "intensity" wird der Anteil jener Bereiche ermittelt, in denen selbst die "Unglücklichen" "glücklich" sind, und im "GNH index" werden die beiden ersten Ansätze in einer standardisierten Index-Zahl zusammengefasst. Jeder Bereich wird dabei gleich gewichtet, objektive Indikatoren stärker als subjektive. Es können aber auch Einzelindikatoren ausgegeben und nach bestimmten soziodemographischen Merkmalen analysiert werden.
Aussagekraft
Vom Design, von der Auswahl der Indikatoren, aber auch von der Erhebungsmethode her kann sich der BNG-Index mit wesentlich aufwändiger erstellten und kommunizierten Kennzahlen durchaus messen. Durch den Survey-Zugang werden hier zwar vorwiegend subjektive Daten erfasst -- es geht dabei aber nicht nur um schwierig interpersonell vergleichbare Fragen von Glück und Zufriedenheit, sondern im Vordergrund steht die Frage, was den Menschen wichtig ist, um ein gutes Leben führen zu können, und wie sie ihr unmittelbares Lebensumfeld darauf hin einschätzen.
Praxis
Der Index des BNG ist -- neben dem BIP -- vielleicht die einzige unter den hier behandelten Kennzahlen, die geeignet erscheint, unmittelbar politisch wirksam zu werden -- auch wenn das v. a. an der paternalistischen Intention und Legitimation des BNP-Prozesses liegen sollte. Begleitend zum Erhebungs- und Analyseinstrumentarium werden auch "GNH Policy & Project Screening Tools" eingesetzt, die dafür sorgen sollen, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen tatsächlich durch die zuständigen politischen und administrativen Stellen in die Praxis umgesetzt werden. Inwieweit das tatsächlich geschieht, soll wiederum durch extern messbare "pro-GNH screening tools" ermittelt werden. Diese enge Anbindung an den politischen Prozess ist sicherlich eine Besonderheit des BNG-Systems. Auch wenn gelebte Demokratie in Bhutan keine Realität ist, auch im BNG keine Rolle spielt und die Mitsprache der Bevölkerung in Sachen "Bruttonationalglück" sich letztlich auf Antworten zu vorgegebenen Fragen beschränkt -- von diesem Instrument ließe sich sicherlich einiges lernen, wenn es darum geht, eine glaubwürdige Alternative zum BIP zu begründen, die etwas über Lebensbedingungen und -wünsche aussagt, die aber letztlich auch demokratisch legitimiert sein sollte.
Plus/Minus
+
- vom Survey-Zugang her innovativ, aussagekräftig und mit Legitimität ausgestattet
- nachvollziehbare, relativ kohärente Systematik
- einzigartige Anbindung an politische & administrative Praxis
-
- paternalistisch, demokratische Legitimität fraglich
Quellen
[1] Gross National Happiness >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Der Better Life Index (BLI) wird seit 2011 von der OECD erstellt, um die "allgemeine Lebensqualität" in den 34 OECD-Mitgliedsstaaten und einigen weiteren Ländern wie Brasilien und Russland, aber -- mit einem abgespeckten Indikatorenset -- auch in Teilregionen (Provinzen, Bundesländern) vergleichbar zu machen.
Selbstverständnis und Motivation
Die OECD gehörte nach der UNO und mit der Weltbank zu den Institutionen, die sich -- auf Basis ihrer umfangreichen vergleichenden Statistiken -- schon vor einigen Jahren über Alternativen zum BIP als zentraler wirtschaftspolitischer Kennzahl Gedanken machten. Zum 50. Geburtstag der OECD wurde 2011 mit dem Better Life Index (BLI) ein Kennzahlensystem mit angeschlossenem interaktivem Webportal gelauncht, welches diese Überlegungen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen soll. Konkreter Anlass für den BLI war das wahrgenommene Bedürfnis nach einer Maßzahl dafür, "worauf es im Leben ankommt", und dass Regierungen zunehmend danach -- und nicht nach dem Wachstum des BIP -- gemessen werden sollten. "Die Better Life Initiative der OECD soll hier Abhilfe schaffen. Ihr Ziel ist es, zu klären, was für das Wohl der Menschen wichtig ist und was Staaten tun können, um größere Fortschritte für alle zu erzielen." [1] Der BLI soll dazu als Kennzahl "die allgemeine Lebensqualität in einem Land" repräsentieren.
Methodik
Der BLI besteht aus elf Themenfeldern, "die zu Lebensqualität und Wohlergehen beitragen" und anhand von 24 Einzelindikatoren gemessen werden:
- Gemeinsinn, gemessen an der wahrgenommenen Qualität des unterstützenden sozialen Netzwerks ("social network support")
- Bildung, gemessen am Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung mit zumindest sekundärer Bildung, an PISA-Testergebnissen & prospektiven Bildungsjahren für 5-Jährige
- Umwelt, gemessen an Luftverschmutzung (Feinstaubbelastung in Ballungszentren) & subjektiv wahrgenommener Wasserqualität
- zivilgesellschaftliches Engagement, gemessen an subjektiv wahrgenommenem Einfluss auf die Gesetzgebung & letzter Wahlbeteiligung
- Gesundheit, gemessen an Lebenserwartung & subjektiv wahrgenommener guter Gesundheit
- Wohnverhältnisse, gemessen an Wohnausgaben, Anteil der Wohnungen ohne sanitäre Grundausstattung & Räumen/Person
- Einkommen, gemessen am verfügbaren Haushalts-Nettoeinkommen & -vermögen
- Beschäftigung, gemessen an Beschäftigungs- & Langzeit-AL-Quote, Jobsicherheit (Wahrscheinlichkeit, arbeitlos zu werden) & Einkommen unselbständiger Beschäftigter nach Vollzeit-Äquivalenten
- Lebenszufriedenheit, gemessen an subjektiv wahrgenommener Lebenszufriedenheit (lt. Gallup World Poll, Mittelwert aus versch. Selbsteinschätzungen von 0-10, der sog. "Cantrill Ladder" oder "Self-Anchoring Striving Scale")
- Sicherheit, gemessen an subjektiv angegebener "Übergriffsrate" & Mordrate
- Work-Life-Balance, gemessen am Anteil von Beschäftigten mit sehr langen Arbeitszeiten (>50 Stunden) & Zeit für Freizeit & Regeneration (gemessen durch nationale Zeitverwendungsstatistiken)
Bei regionalen Analyse auf Provinz- oder Bundesländer-Ebene werden lediglich neun Themenfelder erfasst (ohne Gemeinsinn, Lebenszufriedenheit & Work-Life-Balance), die meist nur durch einen einzigen Indikator gemessen werden. Die einzelnen Themenfelder werden grundsätzlich gleich gewichtet, über das Web-Interface "Your Better Life Index" sind aber individuelle Gewichtungen möglich. Die Themenfelder lassen sich als unterschiedlich große "Blütenblätter" graphisch veranschaulichen, welche Merkmalsausprägungen von Lebensqualität darstellen sollen. Sie lassen sich aber auch zu einem Gesamt-Score aggregieren, der Basis für ein Länder-Ranking ist. Der Fokus des Ländervergleichs liegt auf den die 34 OECD-Mitgliedsstaaten, Brasilien und Russland, es werden aber nach Verfügbarkeit der Daten weitere Länder einbezogen.
Aussagekraft
Der BLI lässt sich als zusammengesetzter Indikator für "allgemeine Lebensqualität" interpretieren. Es ist aber auch möglich, einzelne Themenfelder und sogar Einzelindikatoren miteinander zu vergleichen und zu analysieren. Die Ergebnisse lassen sich (mit eingeschränktem Indikatorensatz) auch regional und nach bestimmten soziodemographischen Merkmalen ausgeben. Der BLI kommt -- vergleicht man die ungewichteten Länderrankings -- zu recht ähnlichen Ergebnissen wie der LPI - Legatum Prosperity Index und der SPI - Social Progress Index, und er korreliert wie diese deutlich mit dem BIP -- und bestätigt damit dessen Wert als Proxy dafür, was der BLI misst. Auch der BLI entzieht sich der Frage, wie und v. a. wie nachhaltig diese Lebensqualität letztlich produziert wird -- und inszeniert sie als fairten Wettbewerb zwischen Nationalstaaten. Zugleich scheint die Möglichkeit, die gemessenen Themenfelder kurzfristig politisch zu beeinflussen, meist sehr begrenzt. Die Möglichkeit, individuelle Gewichtungen der einzelnen Bereiche vorzunehmen, macht vielmehr deutlich, dass es sich auch beim BLI letztlich um kein politisch brauchbares Instrument handelt, sondern eher um ein verspieltes Tool mit fragwürdigem Informationswert.
Praxis
Der BLI dient in erster Linie als Basis für die Information der Öffentlichkeit über die "allgemeine Lebensqualität" in verschiedenen Ländern und Regionen, die über ein interaktives Web-Portal bezogen werden kann.
Plus/Minus
+
- stringentes Design
- aussagekräftige Indikatoren
- Information nach Regionen und soziodemographischen Merkmalen möglich
-
- ökologische Aspekte relativ vernachlässigt
- Quellen und Nachhaltigkeit von Lebensqualität werden nicht thematisiert -- reine Zustandsbeschreibung
- relativ wenige Indikatoren für einzelne Themenfelder, v. a. auf regionaler Ebene
- reines Info-Tool ohne politische Relevanz
Quellen
[1] OECD Better Life Index >> OFFIZIELLE WEBSITE
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Den Sustainable Society Index (SSI) der niederländischen Sustainable Society Foundation gibt es bereits seit 2006 -- und in 2008 und wiederum 2012 aktualisierter Fassung bis heute. Der SSI präsentiert sich dabei als ein relativ schlankes, aber aussagekräftiges Indikatorenset, das dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit folgt, ohne aufwändige Aggregation auskommt und dabei doch politisch hoch relevant sein kann.
Selbstverständnis und Motivation
Der Sustainable Society Index (SSI) soll ein einfaches und transparentes Werkzeug sein, um das gesellschaftliche Leitbild einer integrierten nachhaltigen Entwicklung statistisch zu erfassen, dabei Zusammenhänge und Trends aufzuzeigen, als Vergleichsmaßstab für unterschiedliche Länder und Regionen zu dienen und letztlich auch Anlass und Anleitung für verschiedene politische Handlungsfelder zu geben.
Methodik
Ausgangspunkt des SSI ist die Vision einer integrierten nachhaltigen Entwicklung. Er unterscheidet "three wellbeing dimensions", die von insgesamt 21 Einzel-Indikatoren erfasst werden sollen.
- menschliches Wohlbefinden, abhängig von Grundbedürfnissen (Essen, Trinken, Hygiene), Gesundheit (Gesundheit, Luft, Wasser), persönlicher & gesellschaftlicher Entwicklung (Bildung, Gender equality, Einkommensverteilung, good governance)
- natürliches Wohlbefinden, abhängig von Luftqualität, Biodiversität, Umgang mit erneuerbaren Ressourcen und Energien und dem Ausstoß von Treibhausgasen
- wirtschaftliches Wohlbefinden, dezidiert als Mittel konzipiert und abhängig von ökonomischer Transition, gemessen u.a. durch Anteil der Bio-Landwirtschaft und "genuine savings", der Entwicklung des BIP, von Beschäftigung und öffentlicher Verschuldung
Der SSI deckt derzeit bereits 151 Länder oder 99% der Weltbevölkerung ab. Die Daten kommen durchwegs aus öffentlich zugänglichen Statistiken. Für 50 Länder sind allerdings keine ausreichenden Daten vorhanden, darunter Afghanistan, Djibouti, Eritrea, Somalia and Surinam.
Aussagekraft
Der SSI wird nicht zu einem Gesamt-Score aggregiert, sondern als graphische Übersicht ("Spinne") für alle 21 Indikatoren dargestellt, die jeweiligen Handlungsbedarf aufzeigt, einen einfachen, aber doch differenzierten Vergleich zwischen verschiedenen Ländern zulässt und dabei auch veranschaulicht, dass Wohlbefinden und Nachhaltigkeit in reichen und armen Ländern auseinanderdriften -- und zwar aus unterschiedlichen Gründen.
Praxis
Angewendet wird der SSI noch nicht -- er würde sich aber besser als politisches Instrument eignen als vom Anspruch und der Grundkonzeption her vergleichbare, aber hypertrophe Indizes wie der LPI - Legatum Prosperity Index oder der SPI - Social Progress Index.
Plus/Minus
+
- einfache, gut nachvollziehbare Konzeption & klare Aussage
- beruht auf breit & öffentl. verfügbaren Daten
- methodologisch unproblematisch & politisch relevant und brauchbar
-
- eigentümliche Auffassung von "wellbeing", wenngleich sich einfach als Aspekt/e nachhaltiger Entwicklung interpretieren lässt
Quellen
[1] Geurt Vandekerk (2012): [The Sustainable Society Index] >> ONLINE-DOKUMENT
[2] Sustainable Society Foundation. Sustainable Society Index >> OFFIZIELLE WEBSITE
- Details
- Kategorie: BIP. Kritik & Alternativen
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Der Social Progress Index (SPI) präsentiert sich seit 2014 als neo-liberale Antwort auf die Defizite des BIP. Initiator und Träger des Index ist die US-NPO Social Progress Imperative, die personell und über ein Social Progress Network gut mit Institutionen wie dem WEF, dem Economist sowie US- und lateinamerikanischen Stiftungen vernetzt ist, die gesellschaftlichen Fortschritt in engen Zusammenhang mit freien Märkten und gesellschaftlichem Unternehmertum und dessen Förderung stellen.
Selbstverständnis und Motivation
Der SPI soll einer "gemeinsamen Sprache" für gesellschaftlichen Fortschritt Ausdruck verleihen, die universell verständlich und anwendbar sein soll: weltweit und auf unterschiedlichen Ebenen, vom Staat bis zum Ortsteil -- oder, wie in einem konkreten Projekt, in Amazonas-Dörfern. Er steht als Kennzahl gesellschaftlichen Fortschritts programmatisch für "the capacity of a society to meet the basic human needs of its citizens, establish the building blocks that allow citizens and communities to enhance and sustain the quality of their lives, and create the conditions for all individuals to reach their full potential."[1]
Methodik
Der SPI beruht auf vier "design principles": Erstens werden ausschließlich soziale und ökologische Kennzahlen verwendet, d. h. gesellschaftlicher Fortschritt soll unmittelbar, nicht über ökonomische Proxies (wie bspw. das BIP) gemessen werden und so auch erst die systematische Analyse der vielschichtigen Zusammenhänge mit ökonomischer Entwicklung erlauben. Zweitens werden Ergebnisse ("Outputs") statt Aufwände ("Inputs") gemessen, d. h. unmittelbar lebenesrelevante Größen statt hypothetische Berechnungen. Drittens wird gesellschaftlicher Fortschritt "holistisch" und dem Anspruch nach für arme wie reiche Lände gleichermaßen relevant konzipiert. Viertens soll das Gemessene auch politisch wirksam ("actionable") werden und Akteure auf unterschiedlichen Ebenen unmittelbar praktisch unterstützen.
Der Index besteht konkret aus drei Dimensionen oder Grundfragen gesellschaftlichen Fortschritts, die wiederum durch 12 Bestandteile ("components") und & 52 trennscharfe Indikatoren ("distinct indicators") näher bestimmt werden sollen:
1) Befriedigt ein Land die Grundbedürfnisse seiner Bevölkerung? ("basic human needs")
- Ernährung & medizinische Grundversorgung -- Unterernährung, Kinder- & Müttersterblichkeit & Todesfälle durch ansteckende Krankheiten
- Wasserversorgung & Sanitäreinrichtungen -- Zugang zu basalen & entwickelten Wasserversorgungs- & Sanitätreinrichtungen
- Unterkunft/Wohnen -- Verfügbarkeit von leistbarem Wohnraum, Zugang & Qualität der Elektrizitätsversorgung, Todesfälle durch Luftverschmutzung im Haushalt
- persönliche Sicherheit -- Verbrechensraten bei Mordfällen & Gewaltverbrechen, wahrgenommene Kriminalität, politischer Terror & Verkehrstote
2) Können Menschen ihre Lebensqualität erhalten & verbessern? ("foundations of wellbeing")
- Zugang zu grundlegendem Wissen -- Alphabetisierung bei Erwachsenen, Einschulungsquote Primärstufe, unter & obere Sekundarstufe, bei letzterer Geschlechterparität
- Zugang zu Information & Kommunikation -- Mobiltelefonabdeckung/-verträge, Internet-User, Pressefreiheits-Index
- Gesundheit & Wohlbefinden ("Wellness") -- Lebenserwartung, frühes Ableben durch nicht-ansteckende Krankheiten, Todesfälle durch Luftverschmutzung im Freien, Selbstmordrate
- ökologische Nachhaltigkeit -- Treibhausgas-Emissionen, Wasserverbrauch/-vorräte, Biodiversität & Habitatschutz
3) Können Menschen ihr Potenzial ausschöpfen? ("opportunity")
- persönliche (Grund-)Rechte -- politische Rechte, Redefreiheit, Versammlungs- & Verbindungsfreiheit, Reise-/Bewegungsfreiheit, Recht auf Privateigentum
- Freiheit der Person & Wahlfreiheit -- Zufriedenheit mit Lebenschancen, Religionsfreiheit, frühe Heirat, erfülltes Bedürfnis nach Verhütung, Korruption
- Toleranz & Inklusion -- Toleranz gü. Immigranten, gü. Homosexuellen, Diskriminierung & Gewalt gü. Minderheiten, religiöse Toleranz, kommunales Sicherheitsnetz
- Zugang zu höherer Bildung -- Jahre an tertiärer Bildung, duchschn. Schuljahre von Frauen, Un-/Gleichheit im Zugang zu Bildung, Anteil global gerankter Unis
Die gewählten Indikatoren werden lt. SPI überall und jederzeit einheitlich von derselben Organisation erhoben und ausgewertet, sind ausreichend intern valide und regional verfügbar. Der aggregierte SPI score entspricht einem linear skalar normalisierten Index mit Punktwerten von 0 bis 100. Die Skala wird durch die jeweils besten & schlechtesten Werte seit 2004 standardisiert. Der Ergebniswert ergibt sich als einfacher Mittelwert der drei Dimensionen, jeder dieser Teilwerte wiederum entspricht dem einfachen Mittelwert der vier Komponenten. Jede der 12 Komponenten wird also gleich gewichtet. Die Einzelindikatoren allerdings werden mittels Faktorenanalyse gewichtet und möglichst trennscharf in die Komponenten übersetzt.
Aussagekraft
Der SPI geht von einer dreidimensionalen Vorstellung gesellschaftlichen Fortschritts aus, die seit 2012 in einem Multi-Stakeholder-Prozess entwickelt wurde. Zugang zum Lebensnotwendigen, zu Lebensqualität und Lebenschancen werden gleich gewichtet. Die Zuordnung der Komponenten und Indikatoren scheint indes mitunter fragwürdig. Der SPI enthält auch bewusst keine i.e.S. ökonomischen Indikatoren, und lediglich eine Komponente mit drei Indikatoren widmet sich dem Thema ökologische Nachhaltigkeit. Dafür erfasst der SPI ein breites Spektrum an sozialen und auch politischen Aspekten gesellschaftlichen Fortschritts. Er beinhaltet auch einen subjektiven Indikator, nämlich zur insgesamt wahrgenommenen Lebenszufriedenheit aus der "Gallup World Poll".
Von der Auswahl der Indikatoren und der Datenquellen hat der SPI einige Ähnlichkeit mit dem LPI - Legatum Prosperity Index -- und die jeweiligen Länderrankings auf Basis der aggregierten Werte unterscheiden sich dementsprechend nur unwesentlich. Aussagekräftiger wären jeweils die Teilauswertungen der unterschiedlichen Dimensionen oder Komponenten -- hier macht sich aber speziell beim SPI die teils recht fragwürdige Zuordnung der Indikatoren zu den Komponenten bemerkbar und mindert wiederum deren Aussagekraft.
Insgesamt stellt sich -- wie auch beim LPI -- die Frage, was mit solchen zusammengesetzten Indizes, trotz der dargebotenen Fülle an sich aussagekräftiger und relevanter Indikatoren, letztlich gewonnen ist: Die erhobenen Sachverhalte sind unmittelbar politisch kaum steuerbar -- und häufig ist damit auch gar keine politische Forderung verbunden. Die aggregierten Indizes korrelieren jeweils recht stark mit dem Wohlstand, wie er konventionell durchs BIP/Kopf gemessen wird -- auch wenn sie die Größe als Proxy ersetzen und (wie im SPI) nicht keinerlei ökonomische Größen erheben wollen. Die Verfahren zur Normierung, Gewichtung und Aggregation der Daten sind zwar jeweils theoretisch und methodologisch begründet, lassen aber keine verbindliche, geschweige denn demokratisch legitimierte Aussage über gesellschaftliche Zielsetzungen zu. Wenn subjektive Indikatoren vorkommen, so bilden diese jeweils nur die relative Zufriedenheit mit Aspekten der Gesellschaft oder des eigenen Lebens ab -- nicht die Bedeutung dieser Aspekte bzw. Vorstellungen davon, was ein gutes Leben und eine gute Gesellschaft ausmacht.
Vor allem aber verschleiern synthetische Indizes wie der SPI, der LPI oder auch der BLI - Better Life Index -- insbesondere durch die Präsentation der Daten in Länderrankings -- den Umstand, dass das jeweilige Ausmaß an gesellschaftlichem Fortschritt oder Prosperität in einer globalisierten Welt eben nicht allein "im Inland" erwirtschaftet wird, sondern in hohem Maße anderswo bzw. auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen. Die SDG - Sustainable Development Goals versuchen zumindest, mit ihrem Fokus auf internationale Beziehungen und der politischen Forderung nach Entwicklungspartnerschaft diesen meist unterschlagenen Zusammenhang auf der Tagesordnung zu halten -- und nachhaltige Entwicklung (oder gesellschaftlichen Fortschritt, Prosperität und ein gutes Leben) damit als politische Kernproblematik zu deklarieren, nicht als Frage gesellschaftlichen Unternehmertums oder forcierter Globalisierung. Aus all diesen Gründen erscheint die Einführung dieser "Länder-Labels" -- analog dem "Gütesiegeldschungel" für nachhaltige Produktqualitäten -- , welche durch private Indizes und dazugehörige Rankings forciert werden, eher kontraproduktiv.
Gerade wenn es um politische Fragen wie gesellschaftlichen Fortschritt usw. geht, müsste doch die Zielsetzung auch eine gewisse demokratische Legitimität und Verbindlichkeit haben -- und diese fehlt hier aber völlig. Obwohl dezidiert kein "ökonomischer" Indikator vorkommt, wird gesellschaftlicher Fortschritt damit erst recht zu einer rein ökonomischen Angelegenheit -- für Markt und Unternehmen. Die Bedeutung des BIP wird -- in den Worten Jean Baudrillards -- sozusagen dissimuliert. Diese Alternativen tun so, als ob sie das BIP ersetzen würden. In Wirklichkeit leisten sie einer libertären Sicht der Lösung gesellschaftlicher Probleme Vorschub, die Politik und Zivilgesellschaft durch Markt und UnternehmerInnentum ersetzen möchte.
Insofern sind Indizes wie der SPI zwar vordergründig nett -- sie machen die Debatte bunter, sie schaffen Bewusstsein für die Problematik des BIP. Die entscheidende Frage bleibt indes, was mit dem gesammelten Wissen passieren soll -- bei SPI und LPI sind die gemessenen Konstrukte trotz methodologisch ausgereifter Tools und perfekter Aufbereitung als Infographiken derart fragwürdig, dass sie auch politisch äußerst fragwürdig sind.
Praxis
Kurz nach seiner Veröffentlichung 2014 hat der SPI -- dank der guten Vernetzung mit wirtschaftsliberalen Institutionen, Think Tanks & Foundations -- schon recht schnell Verbreitung und erste Anwendung gefunden: Vor allem in Lateinamerika, wo der SPI in brasilianischen Amazonas-Dörfern, von Konzernen wie McDonald's bei konzernfreundlichen "Entwicklungsprojekten", und bei den Regierungen von Paraguay und Kolumbien als Ergänzung zum BIP ebenso auf interesse gestoßen ist wie beim US-Bundesstaat Michigan und der Europäischen Kommission. Letztere greift damit -- nach erfolgreicher Beratung durch Michael Porter bei ihrer CSR-Strategie -- wiederum ein unternehmerInnenfreundliches, neoliberales (von Michael Porter patroniertes) Konzept auf, um ihrer etwas angegrauten Initiative "Beyond GDP" einen neuen Anstrich zu verpassen. Viel wird man sich davon nicht versprechen dürfen -- hoffentlich.
Plus/Minus
+
- sehr umfangreich, theoretisch fundiert
-
- wirtschaftsliberale Aufffassung von "gesellschaftlichem Fortschritt" als Ergebnis freier Märkte und starker UnternehmerInnen
- korreliert sehr hoch mit dem BIP, führt sich selbst ad absurdum
- reine „Inlands-Perspektive“, macht gesellschaftlichen Fortschritt zu einer Frage des nationalen Wettbewerbs
- keine Anbindung an politischen Prozess denkbar bzw. wünschbar
Quellen
[1] Social Progress Index >> OFFIZIELLE WEBSITE
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- Kategorie: BIP. Kritik & Alternativen
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