Der Canadian Index of Wellbeing (CIW) wurde 1999 von der Atkinson Charitable Foundation (ACF) initiiert und bis 2010 getragen. Seit 2011 werden Entwicklung und Erhebung des CIW landesweit von der Faculty of Applied Health Sciences an der University of Waterloo betreut.

 

Selbstverständnis und Motivation

Der CIW basiert auf einer komplexen Vorstellung von "Wohlbefinden" ("wellbeing") im Sinne umfassender Lebensqualität. Er soll als statistisches Instrument die vielfältigen, objektiven und subjektiven Ausprägungen dieses Wohlbefindens in ihrer Entwicklung erfassen und als politisches Instrument CanadierInnen dazu "empower[n] ... to hold governments accountable for their actions and decisions." [1]

 

Methodik

Der CIW ist ein zusammengesetzter Index, der "Wohlbefinden" ("wellbeing") in acht Bereichen und anhand 64 Indikatoren messen soll:

  • guter Lebensstandard, gemessen durch Vergleich oberstes/unterstes Einkommensquintil, Medianeinkommen, Anteil Niedriglohnbezieher, ökonomische Sicherheit, Langzeitarbeitslose, Erwerbsquote, Jobqualität, erschwingliches Wohnen
  • robuste Gesundheit, gemessen durch Einschätzung eigener Gesundheit, Diabetes-Fälle, Lebenserwartung bei der Geburt, Anteil rauchender Teeenager, Häufigkeit von Depressionen, Zufriedenheit mit Gesundheitsversorgung, Anteil grippegeimpfter SeniorInnen, prospektive gesunde Lebensjahre
  • nachhaltige Umweltnutzung, gemessen durch bodennahes Ozon, absolute THG-Emissionen, Primärenergieproduktion, Wasserverbrauch, Umgang mit nicht-erneuerbaren Energie- & Metallreserven, Living Planet Index, Meereslebewesen
  • lebendige Gemeinschaften, gemessen durch Anteil Vereinsangehöriger, Anteil derer mit mehr als sechs engen Freunden, Eigentumsdelikt- & Gewaltverbrechensrate, Anteil derer die sich sicher fühlen nachts alleine zu gehen, Anteil derer die angeben sich nicht um andere Leute zu kümmern, Anteil der Hilfsbereiten, Anteil derer, die sich ihrer lok. Gemeinschaft zugehörig fühlen
  • gut ausgebildete Bevölkerung, gemessen durch Angebot an Kinderkrippen, Anteil gut entwickelter Kinder, Lehrer-Schüler-Quotient, Ausmaß sozialer und emotionaler Kompetenz bei Jugendlichen, Erwerb grundlegender Kenntnisse und Fertigkeiten von 13-15jährigen, Einfluß soziodemograph. Merkmale auf PISA-Test, Anteil der High School-Absolventen
  • ausgewogene Zeitverwendung, gemessen durch Anteil derer, die über 50h/Woche arbeiten, empfundener Zeitdruck in der Arbeit, Anteil freiwilliger Helfer für SeniorInnen, Anteil aktiver & "ehrenamtlicher" SeniorInnen, Anteil Jugendlicher die mehr als 2h fernsehen & videospielen, Anteil der Kinder mit regelmäßigen struktur. Aktivitäten, Anteil der Kleinkinder denen regelmäßig vorgelesen wird
  • hohe demokratische Beteiligung, gemessen durch Wahlbeteiligung bei gesamtstaatl. Wahlen, Anteil der Politikverdrossenen, Anteil derer die Wählen für eine Bürgerpflicht halten, Anteil der mit dem polit. Prozess wenigstens Zufriedenen, Anteil der mit den Ergebnissen staatl. Politik insgesamt Zufriedenen, Verhältnis registrierte & stimmberechtigte Wähler, Frauenanteil im Parlament, Anteil der öffentl. Entwicklungshilfe am BNE
  • Zugang zu und Teilnahme an Freizeit- und kulturellen Aktivitäten, gemessen durch durchschnittl. aufgewendete Zeit für soziale Freizeitaktivitäten, kulturelle Aktivitäten, Freiwilligenarbeit für kulturelle und rekreative Einrichtungen, körperl. Aktivität über 15', Anzahl der besuchten Kulturveranstaltungen, Aufenthalte in der Natur, Urlaubsaufenthalte, Anteil der Ausgaben für kulturelle & Freizeitaktivitäten am Haushaltsbudget

Die Bereiche wurden auf Basis von Erhebungen und Befragungen in der kanadischen Bevölkerung bestimmt -- was den CIW als citizen-driven index hinsichtlich seiner Einbindung der Betroffenen (zumindest bei der Konzeption) einzigartig macht. Als percentage change index werden die Veränderungen in jedem der acht Bereiche seit 1994 (dem Basisjahr) verfolgt. 2011 wurde die Entwicklungsphase des CIW-Index abgeschlossen, seither werden Daten (nunmehr von der University of Waterloo) regelmäßig veröffentlicht und auch mit der Entwicklung des BIP verglichen.

 

Aussagekraft

Der CIW kann sowohl als aggregierter Gesamt-Index als auch als Tableau von Teil-Indizes der acht unterschiedenen Bereiche ausgegeben werden. Damit lässt sich einerseits die Entwicklung des Wohlbefindens der CanadierInnen insgesamt beobachten und ggf. mit der des BIP vergleichen, andererseits lässt sich damit auch untersuchen, welche Bereiche sich besser, welche schlechter -- oder sogar negativ -- entwickeln und wie diese Entwicklungen miteinander und z. B. auch mit Wirtschaftswachstum zusammenhängen. Angesichts der Fülle relevanter Daten kann der CIW für diesen Zweck als hoch valide angesehen werden. Angesichts der noch mangelnden Qualität und Lückenhaftigkeit der Daten muss die Verlässlichkeit des Index noch mit Vorsicht betrachtet werden. Damit erweist er sich auch hinsichtlich seiner methodologischen Qualitäten als komplementäres Korrektiv des BIP (verlässlich, aber kaum gültig als Maßzahl für Wohlbefinden). Seit die University of Waterloo 2011 die Patronanz des CIW übernommen hat, wird laufend an der Verbesserung (Ergänzung, Konsolidierung) der Datengrundlage und auch der Zusammenarbeit mit offiziellen statistischen Behörden gearbeitet.

 

Praxis

2011 wurde der erste nationale Bericht auf Basis des CIW erstellt -- 2014 folgte der erste Bericht auf Provinzebene für Ontario. Der nationale CIW zeigt einen deutlich geringeren Anstieg seit Mitte der 1990er im Vergleich zum BIP im selben Zeitraum: nur knapp 6% statt des fast 30%igen Wirtschaftswachstums, mit einem deutlichen Knick mit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise. Darin offenbart sich zwar der enge Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung -- vor allem vermittelt durch die Abhängigkeit von Geld zur Stillung materieller und immaterieller Bedürfnisse. Zugleich weisen gerade die Bereiche Freizeit- und kulturelle Aktivitäten sowie natürliche Umwelt auch in Zeiten des BIP-Wachstums deutlich negative Werte auf. BIP vs. CIW
Der CIW macht damit deutliche und politisch hoch relevante Aussagen über die Entwicklung der Lebensqualität. Er wird allerdings momentan in relativ langen Abständen berechnet (zuletzt für 2010), was seine Brauchbarkeit für die Praxis deutlich schmälert. Die Bedeutung des CIW liegt deshalb momentan noch vor allem in der Schaffung öffentlicher Aufmerksamkeit für Fragen der Lebensqualität und der Kosten des Wirtschaftswachstums. Um unmittelbar politisch stärker wahrgenommen zu werden, sollen indes relevante Organisationen, Behörden und politische EntscheidungsträgerInnen auch unmittelbar stärker über die Bedeutung des CIW informiert und zur Zusammenarbeit gewonnen werden.

 

Plus/Minus

+

  • sehr umfassendes Konzept des Wohlbefindens
  • gute, valide Indikatoren
  • guter Mix aus objektiven und subjektiven Indikatoren
  • beinhaltet keinerlei Daten der VGR, steht damit für ein "Gegenmodell" zur ökonomischen Wohlstandsmessung

-

  • keinerlei Integration in die VGR
  • mangelnde Verlässlichkeit der Daten

 

Quellen

[1] Factsheet "Canadian Index of Wellbeing" >> ONLINE-DOKUMENT

[2] Canadian Index of Wellbeing >> OFFIZIELLE WEBSITE

Der Index zur Erhebung des Bruttonationalglücks (BNG -- engl. Gross National Happiness - GNH) geht auf eine Initiative des Königs von Bhutan, Jigme Singye Wangchuk, von Anfang der 1970er zurück -- der sich wiederum auf einen Gesetzestext aus dem 18. Jahrhundert berufen haben soll,eine Regierung hätte keine Legitimation, wenn sie nicht für das Glück ihrer Bürger sorgen könnte. Konzipiert wurde der BNG-Index allerdings erst im Jahr 2008, von einer eigens eingesetzten staatlichen Kommission, wissenschaftlich betreut durch das Centre for Bhutan Studies. Demokratisch legitimiert ist dieses Unterfangen auch heute noch nicht -- was die Beteiligung der eigentlich Betroffenen, der Bevölkerung, an der Erhebung des Bruttonationalglücks und die Anbindung an die politische Praxis angeht, sticht der BNG-Prozess indes immer noch positiv aus dem "Ländergütesiegeldschungel" hervor.

 

Selbstverständnis und Motivation

Das BNG versteht sich als ganzheitlicherer Bezugsrahmen für Lebensstandard in seinen subjektiven und spirituellen Dimensionen -- und damit als Ergänzung und Gegenentwurf zum BIP, das lediglich Geldflüsse abbildet. Eine nachhaltige Entwicklung, so der Grundgedanke dahinter, kann es nur in Harmonie materieller, kultureller und spiritueller Elemente geben, die einander ergänzen, bedingen und bestärken. Der BNG-Index soll es erlauben, diese Entwicklung zu beobachten und v. a. die Lebensbedingungen der noch weniger glücklichen Einwohner zu verbessern. Dafür wird er unmittelbar und verbindlich in politische Prozesse eingebunden.

 

Methodik

Der BNG-Index ist ein multidimensionaler, zusammengesetzter Indikator, der -- entgegen seinem Namen -- nicht bloß subjektives Wohlbefinden und Glück misst, sondern auch soziale und ökologische Lebensumstände, wie sie sich für die unmittelbar davon Betroffenen darstellen. Das Konzept des BNG beruht auf vier Grundprinzipien: guten Regierungs- und Verwaltungsstrukturen, einer nachhaltigen bzw. sozial gerechten sozio-ökonomischen Entwicklung, der Bewahrung und Förderung kultureller Werte und derm Schutz der Umwelt.

Der BNG-Index umfasst in seiner aktuellen Fassung neun Bereiche des "Wohlbefindens", die es erlauben, ein "gutes Leben" nach den genannten Grundprinzipien des GNH führen zu können, und die ihrerseits durch 33 Einzel-Indikatoren gemessen werden sollen:

  • psychologisches Wohlbefinden
  • Lebensstandard
  • Good Governance (also gute Regierungs- & Verwaltungsstrukturen
  • Gesundheit
  • Bildung
  • kommunale Vitalität
  • kulturelle Diversität & Resilienz
  • Zeitverwendung
  • ökologische Vielfalt & Resilienz

Die 33 Indikatoren werden seitens des Center for Bhutan Studies, welches die Entwicklung und Erhebung des BNP wissenschaftlich betreut, als statistisch verlässlich, normativ wichtig und leicht verständlich/kommunizierbar erachtet. Der BNP wird in der Art eines statistisch repräsentativen Surveys per Fragebogen erhoben, dabei werden Fakten-, Einstellungs- und Befindensfragen gestellt. Beim letzten GNH Survey 2010 wurden 7142 BürgerInnen befragt -- für 6476 (90,7%) gab es genügend Daten. Die Auswertung der Daten erfolgt auf drei verschiedene Arten: Beim "headcount" wird der Anteil der "Glücklichen" an der Bevölkerung (jene mit guten Werten in mindestens sechs Bereichen) ermittelt, im Hinblick auf "intensity" wird der Anteil jener Bereiche ermittelt, in denen selbst die "Unglücklichen" "glücklich" sind, und im "GNH index" werden die beiden ersten Ansätze in einer standardisierten Index-Zahl zusammengefasst. Jeder Bereich wird dabei gleich gewichtet, objektive Indikatoren stärker als subjektive. Es können aber auch Einzelindikatoren ausgegeben und nach bestimmten soziodemographischen Merkmalen analysiert werden.

 

Aussagekraft

Vom Design, von der Auswahl der Indikatoren, aber auch von der Erhebungsmethode her kann sich der BNG-Index mit wesentlich aufwändiger erstellten und kommunizierten Kennzahlen durchaus messen. Durch den Survey-Zugang werden hier zwar vorwiegend subjektive Daten erfasst -- es geht dabei aber nicht nur um schwierig interpersonell vergleichbare Fragen von Glück und Zufriedenheit, sondern im Vordergrund steht die Frage, was den Menschen wichtig ist, um ein gutes Leben führen zu können, und wie sie ihr unmittelbares Lebensumfeld darauf hin einschätzen.

 

Praxis

Der Index des BNG ist -- neben dem BIP -- vielleicht die einzige unter den hier behandelten Kennzahlen, die geeignet erscheint, unmittelbar politisch wirksam zu werden -- auch wenn das v. a. an der paternalistischen Intention und Legitimation des BNP-Prozesses liegen sollte. Begleitend zum Erhebungs- und Analyseinstrumentarium werden auch "GNH Policy & Project Screening Tools" eingesetzt, die dafür sorgen sollen, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen tatsächlich durch die zuständigen politischen und administrativen Stellen in die Praxis umgesetzt werden. Inwieweit das tatsächlich geschieht, soll wiederum durch extern messbare "pro-GNH screening tools" ermittelt werden. Diese enge Anbindung an den politischen Prozess ist sicherlich eine Besonderheit des BNG-Systems. Auch wenn gelebte Demokratie in Bhutan keine Realität ist, auch im BNG keine Rolle spielt und die Mitsprache der Bevölkerung in Sachen "Bruttonationalglück" sich letztlich auf Antworten zu vorgegebenen Fragen beschränkt -- von diesem Instrument ließe sich sicherlich einiges lernen, wenn es darum geht, eine glaubwürdige Alternative zum BIP zu begründen, die etwas über Lebensbedingungen und -wünsche aussagt, die aber letztlich auch demokratisch legitimiert sein sollte.

 

Plus/Minus

+

  • vom Survey-Zugang her innovativ, aussagekräftig und mit Legitimität ausgestattet
  • nachvollziehbare, relativ kohärente Systematik
  • einzigartige Anbindung an politische & administrative Praxis

-

  • paternalistisch, demokratische Legitimität fraglich

 

Quellen

[1] Gross National Happiness >> OFFIZIELLE WEBSITE

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