Die Vollgeldreform ist ein Konzept zur Reformierung des Geldsystems von Joseph Huber. Eine Vermehrung der Geldmenge (Geldschöpfung), erfolgt heute nicht nur durch Zinsen, die Unternehmen für die Inanspruchnahme von Krediten an die Banken entrichten müssen, sondern auch durch den Zentralbankkredit und den Bankenkredit selbst. Das kontinuierliche Wachstum der modernen Wirtschaft gründet auf der unbegrenzten Fähigkeit der Zentralbank zur Ausgabe von Banknoten sowie der Möglichkeit der Banken zur Schaffung von Buchgeld. Daraus ergibt sich das Potenzial zu einer im Prinzip »unendlichen« Geldschöpfung »sozusagen aus dem Nichts«.

 

Die Schaffung von Buchgeld durch die Geschäftsbanken wird als Giralgeldschöpfung bezeichnet. Diese funktioniert denkbar einfach: Die Geldschöpfung erfolgt durch Kredite, welche die Geschäftsbanken Unternehmen oder Privatpersonen gewähren. Dies geschieht, indem die Banken den Kreditbetrag den Kreditnehmern auf ihren Girokonten als Sichtguthaben gutschreiben. Dieser Betrag ist zu 100 Prozent neues Geld, da kein Guthaben auf einem anderen Konto vermindert wird. Die Geldmenge wird dementsprechend nicht nur durch Zinsen vermehrt, sondern bereits durch die Kredite selbst. Wenn Unternehmen dieses Geld in Produktion investieren, führt die Giralgeldschöpfung zu einem Wachstum der Realwirtschaft. Der Zentralbankkredit folgt dem gleichem Schema: Die Zentralbank schreibt einer Geschäftsbank einen vereinbarten Kreditbetrag gut. Diesen Betrag, über den die Bank frei verfügen kann, schuldet sie fortan der Zentralbank. Der Zinssatz, zu dem sich die Geschäftsbanken Geld bei der Zentralbank leihen können, ist der so genannte Leitzins. Die Geschäftsbanken benötigen den Zentralbankkredit neben der Erfüllung von Liquiditätsvorschriften und den Saldoausgleich im Interbankenverkehr in erster Linie für den Umtausch in Banknoten. Daher wird dieser Vorgang landläufig als Gelddrucken bezeichnet. In der Europäischen Union besteht die reale Geldmenge im Publikumsverkehr aus 20 Prozent Bargeld und 80 Prozent Giralgeld. In Anbetracht dieser Zahlen und der Tatsache, dass die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken erfolgt, kann man feststellen, dass die Zentralbank den Geschäftsbanken weitgehend die Initiative zur Geldschöpfung überlässt.

 

Eine Reform, die das Geldsystem als ökonomischen Wachstumstreiber beseitigen will, muss dementsprechend zwei Dinge berücksichtigen. Erstens muss Geld zinsfrei zur Verfügung gestellt werden und zweitens muss die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken unterbunden werden, damit die Zentralbank die vollständige Kontrolle über die Geldmenge innehat. Eine solche Reform ist die Vollgeldreform. Diese zielt darauf ab, (1) Alles Geld, Bargeld sowie unbare Geldguthaben von der Zentralbank schöpfen zu lassen, (2) dieses Geld schuldenfrei (also ohne Zins und Tilgung) durch öffentliche Ausgaben in Umlauf zu bringen und (3) die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken zu unterbinden. Dadurch soll der Dualismus von Zentralbankgeld und Bankengeld, der lediglich dem Interesse der Geschäftsbanken, keineswegs hingegen dem Interesse der Gesellschaft dient, aufgehoben werden zugunsten einer einzigen Geldmenge. Dieses Vollgeld wird ausschließlich von der Zentralbank emittiert. Die Zentralbank soll neben Legislative, Exekutive und Judikative zu einer vierten Gewalt im Staate aufsteigen, der so genannten Monetative. Diese Monetative schreibt regelmäßig Geldbeträge auf einem dafür vorgesehenen Regierungskonto als schuldenfreie Seigniorage gut. Dabei orientiert sich die Monetative am realwirtschaftlichen Potenzial und gestaltet die Geldmenge inflationsneutral. In ihrer Geldpolitik verfährt sie diskretionär nach aktueller Lage, nicht regelmechanisch. Allein die Monetative kann das jeweils neu zu schöpfende Geld zins- und tilgungsfrei dem öffentlichen Haushalt überlassen. Zinsen für die Bereitstellung des Geldes zu verlangen wäre sinnlos, da die gezahlten Zinsen mit dem Zentralbankgewinn wieder an das Finanzministerium zurückfließen würden. Buchhalterisch kann man sagen, dass es sich bei diesen Zentralbankaktiva um einen unbefristeten zinslosen Kredit an die Produktivkraft der Nation handelt.

 

Nach der Gutschrift wird das Geld durch die öffentliche Hand in Umlauf gebracht. Hierfür sieht eine Vollgeldreform verschiedene Möglichkeiten vor: Das Geld kann als bedingungsloses Grundeinkommen in die Zirkulation gebracht oder von vornherein vergesellschaftet werden, indem es an Unternehmen und private Haushalte ausgeschüttet wird. Auch denkbar sind Steuerschuldnachlässe bei den direkten Steuern, da dieses Geld direkt der Bürgerschaft und der Wirtschaft zugute kommt. Der letzte Vorschlag impliziert bereits, dass der Staatshaushalt auch in einer Vollgeldzukunft regulär durch Steuern und Abgaben bestritten wird. Bei Bedarf können wie bisher Gelder an Geschäftsbanken fließen. Diese dürfen dann wie bisher frei über die Vergabe von Krediten entscheiden. Auch eine Kombination von staatlicher und privatwirtschaftlicher Kreditvergabe ist denkbar. Dann kann jedes Unternehmen selbst entscheiden, ob es sich mit seiner Kreditanfrage an den Staat oder an eine Geschäftsbank wendet. Die Banken führen fast alle ihrer Geschäfte wie gewohnt weiter, jedoch bei veränderten Finanzierungsbedingungen. Die Banken bleiben im Rahmen der Gesetze frei zu tun was sie vermögen, jedoch können Banken in einer Vollgeldordnung nicht mehr ihre eigenen Zahlungsmittel in Form von Giraldgeld erzeugen. Kredite von Geschäftsbanken werden ebenfalls zinsfrei in Umlauf gebracht. Damit haben die Geschäftsbanken keinen Einfluss mehr auf die verfügbare Geldmenge. Kredite an Nichtbanken müssen vollständig finanziert sein, das heißt, die Banken können nur Geld verleihen, das sie tatsächlich besitzen. Dadurch fällt der »unverdiente Gewinn durch die Giralgeldschöpfung« weg. Das Erfordernis der vollständigen Finanzierung von Darlehen hat zur Folge, dass den Banken der Margenextragewinn aus der Giraldgeldschöpfung verloren geht. Durch die Seignorage und dem damit verbundenen Wegfall von Zinsen und Giraldgeldschöpfung soll das Geldsystem wachstumsneutral gestaltet und Vermögensungleichheit, die durch das gegenwärtige Geldsystem forciert wird, vermindert werden.

 

Binswanger, Hans Christoph (2009), Vorwärts zur Mäßigung, Hamburg

 

Huber, Joseph (1998), Vollgeld, Berlin

 

Huber, Joseph (2009), Reform der Geldschöpfung, http://www.soziologie.uni-halle.de/huber/docs/geldordnung-ii-reform-der-geldschoepfung-durch-vollgeld-mai-09.pdf

 

Huber, Joseph (2010), Monetäre Modernisierung, Marburg