Der Human Development Index (HDI) wurde 1990 im Rahmen der Erstellung des UNDP-Entwicklungsreports entwickelt. Er geht auf eine Initiative des Ökonomen und damaligen UNDP-Sonderberaters Mahbub ul Haq zurück, der sich angesichts des globalen Versagens der konventionellen, wachstumsorientierten Entwicklungspolitik ein alternatives Maß gesellschaftlicher Entwicklung wünschte, das soziale Aspekte und den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt rücken und dabei zugleich so simpel und plakativ sein sollte wie das BIP. Der Human Sustainable Development Index (HSDI) von 2010, entwickelt vom Internationalen Geosphären-Biosphären Programm (IGBP) mit der Universität der Vereinten Nationen, berücksichtigt gemäß dieser Philosophie noch einen weiteren Indikator zur Bestimmung der Nachhaltigkeit eines Entwicklungspfades.

 

Selbstverständnis und Motivation

Der HDI geht davon aus, dass Wirtschaftswachstum, gemessen am BIP, sich nicht automatisch -- wie etwa von der liberalen "Pferdeäpfel-Theorie" suggeriert -- in gesellschaftlichen Fortschritt und menschliche Entwicklung übersetzt. Der Fokus des HDI, an dessen Konzeption neben Mahbub ul Haq etwa auch Amartya Sen mitgearbeitet hat, liegt dabei auf "functionings and freedoms", also den individuellen Möglichkeiten und Freiheiten, ein gutes Leben zu führen. Er steht damit als grober "Proxy", "Bezugsrahmen" und "advocacy tool" für ein Leitbild von Entwicklung, welches die Menschen und ihre Befähigungen (Capabilites) als ultimative Kriterien in den Mittelpunkt stellt. Konkret benennt der HDI damit drei Dimensionen menschlicher Entwicklung, die essentiell erscheinen, eng miteinander zusammenhängen und weniger als ungeplante Folge denn als politisch erwirktes Ziel wirtschaftlicher Entwicklung betrachtet werden können: ein langes Leben in Gesundheit, Zugang zu Bildung und ein angemessener Lebensstandard. Darüber hinaus soll der HDI im Ländervergleich auch zeigen, dass menschliche Entwicklung (gemessen am HDI) und ökonomische Entwicklung (gemessen am BIP) weniger eng zusammenhängen als gemeinhin angenommen wird.

 

Methodik

Der Human Development Index (HDI) ist eine synthetische Kennzahl zur Messung menschlicher Entwicklung, die sich aus drei Dimensionen und daraus abgeleiteten objektiven Indikatoren zusammensetzt. Der ursprünglich 1990 konzipierte HDI erfuhr 2010 einige wichtige methodologische Änderungen hinsichtlich einzelner Kriterien und Berechnungsweisen: "Wissen" war ursprünglich durch den Alphabetisierungsgrad und die aggregierte Einschulungsrate gemessen worden, seither durch prognostizierte und aktuell durchschnittliche Schuljahre. Der "Lebensstandard" war ursprünglich anhand des BIP-pro-Kopf gemessen worden, seither anhand des BNI-pro-Kopf, jeweils nach Kaufkraftparitäten (PPP US$). Ein "langes gesundes Leben" wird wie nach wie vor durch die Lebenserwartung bei Geburt gemessen.

Die Transformation der drei Dimensionen auf einen standardisierten, "einheitslosen" Index mit Werten zwischen 0 und 1 wurde 2010 auf "beobachtete" Minimum- & Maximum-Werte umgestellt. Die Aggregation zum Gesamtindex erfolgte ursprünglich einfach durch Berechnung des arithmetischen Mittelwerts der drei Dimensionen, was für eine perfekte Substituierbarkeit jeder Teildimension stand. Seit 2010 wird der geometrische Mittelwert herangezogen, was insgesamt, und insbesondere in Ländern mit relativ großen Unterschieden der Einzelwerte niedrigere Werte des HDI produziert.

Um Ungleichheiten bei der Entwicklung verschiedener sozialer Gruppen abzubilden, wurde 2010 auch ein IHDI - Inequality Adjusted HDI eingeführt. Ist der Wert des IHDI kleiner als der des HDI, so lässt sich dieser als -- auch prozentuell darstellbarer -- Verlust an menschlicher Entwicklung durch soziale Ungleichheit interpretieren. Der ebenfalls 2010 konzipierte HSDI - Human Sustainable Development Index fügt dem HDI mit den Treibhausgas-Emissionen/Kopf (in CO2-Äquivalenten) noch einen Indikator hinzu, der die ökologische Nachhaltigkeit des jeweiligen Entwicklungspfades messbar machen soll.

 

Aussagekraft

Der HDI besticht durch Einfachheit, relativ gute Datenlage und Vergleichbarkeit und die klare, theoretisch untermauerte Aussage. Mit den methodologischen Anpassungen 2010 konnten diese Stärken noch geschärft werden. Das gilt insbesondere mit dem Wechsel vom BIP zum BNI als Ausgangsgröße zur Bestimmung des Lebensstandards. Die Einfachheit mindert indes auch die Aussagekraft des HDI/HSDI -- so wie seine Einzelindikatoren kann auch der Index selbst in erster Linie als Proxy für menschliche Entwicklung aufgefasst werden. Die globale Vergleichbarkeit sollte nicht darüber hinweg täuschen, dass die Eignung als Kennzahl mit zunehmender Entwicklung von Bildungs-, Gesundheitswesen und Lebensstandard eines Landes wohl abnimmt -- auch wenn der empirische Nachweis wichtig ist, dass vergleichsweise gute HDI/HSDI-Werte auch mit relativ niedrigem BIP erzielt werden können, und umgekehrt.

 

Praxis

Der HDI ist die zentrale Maßzahl für die Erstellung des jährlichen Human Development Reports des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) und des darin enthaltenen Länderrankings. Der Index empfiehlt sich kaum als politisches Instrument für kurzfristige Steuerungsmaßnahmen und deren Monitoring, sondern eher als Maßzahl zur Beobachtung mittel- bis langfristiger Entwicklungen und Zusammenhänge.

 

Plus/Minus

+

  • einfach, gute Datenlage und klare Aussage
  • stellt menschliche Entwicklung von "Capabilites" ins Zentrum

-

  • zu einfach im Hinblick auf die Dimensionen, Indikatoren und deren Gewichtung
  • nicht für Gesellschaften unterschiedlicher Entwicklungsniveaus gleichermaßen anwendbar oder vergleichbar
  • eignet sich eher zur Messung langfristiger Entwicklungen als für politische Weichenstellungen

 

Quellen

[1] Amie Gaye (2011): The Human Development Index (HDI) >> ONLINE-DOKUMENT

[2] Human Development Index (HDI) >> OFFICIAL WEBSITE

[3] UNDP (United Nations Development Programme) 2014: Human Development Report 2014. Sustaining human progress: Reducing vulnerabilities and building resilience, New York >> ONLINE-DOKUMENT