NordhessenMit dem Aufbau einer regionalen, solidarischen, selbstverwalteten Produktionskette soll in Nordhessen ökologische Kleidung aus Flachs, Hanf und Brennnesseln für die Menschen in der Region hergestellt werden. Vom Anbau über die Verarbeitung bis hin zum Vertrieb und Verkauf sollen alle Prozesse und damit die gesamte Wertschöpfung in der Region gehalten werden. Die übergeordneten Ziele der Initiatoren sind die umweltverträgliche Produktion eines notwendigen Gutes, der Aufbau einer nachhaltigen und gerechten Produktionskette, die Stärkung der regionalen Ökonomie sowie die Verringerung der Fremdabhängigkeit.

Ausgangslage, Entwicklung und aktueller Stand

Die Produktion von Textilien geht mit vielen Umweltbelastungen einher. Dies veranlasste eine Gruppe des Vereins zur Förderung der solidarischen Ökonomie e.V. aus Kassel, das Konzept für den Aufbau einer regionalen, solidarischen, selbstverwalteten Produktionskette für ökologische Kleidung in Nordhessen zu entwickeln. Die zehnköpfige Gruppe bestand aus bekleidungstechnischen Assistenten, Produktdesignern, Landschaftsplanern, Sozialwissenschaftlern und ökologischen Landwirten.

Mit dem Aufbau der Textilkette soll in Nordhessen ökologische Kleidung aus Flachs, Hanf und Brennnesseln für die Region hergestellt werden. Vom Anbau über die Verarbeitung bis hin zum Vertrieb und Verkauf sollen alle Prozesse und damit die gesamte Wertschöpfung in der Region gehalten werden. Die übergeordneten Ziele der Initiatoren sind die umweltverträgliche Produktion eines wichtigen Gutes, der Aufbau einer nachhaltigen und gerechten Produktionskette, die Stärkung der regionalen Ökonomie sowie die Verringerung der Fremdabhängigkeit. Die solidarische Textilkette Nordhessen befindet sich noch im Aufbau.[1]
 

Positive Effekte im Hinblick auf die Aspekte einer regionalen Resilienz

Bis ein T-Shirt im deutschen Einzelhandel liegt, hat es durchschnittlich etwa 20.000 Kilometer zurückgelegt. Umweltauswirkungen entstehen entlang des gesamten Lebenswegs einer Textilie: von der Gewinnung der Rohstoffe und der Herstellung der Fasern über die Textilproduktion, den Gebrauch bis hin zur Entsorgung. Insbesondere der Anbau von Baumwolle ist sehr wasserintensiv: Die Produktion eines Kilogramms Baumwollfasern verschlingt etwa 25.000 Liter Wasser.[2, 3] Problematisch daran ist insbesondere, dass dieses Wasser in Regionen verbraucht wird, in denen Wasser ohnehin knapp ist. Im Baumwollanbau werden 25 Prozent der weltweit eingesetzten Pestizide eingesetzt, bei Insektiziden entfallen etwa zehn Prozent auf den Baumwollanbau. Der Pestizideinsatz führt zu Einträgen toxischer Substanzen in Böden und Gewässern und damit zu massiven Umweltschäden. Der Einsatz von synthetischen Düngemitteln bewirkt eine Versalzung der Böden.[3] Der Anbau von Baumwolle in Monokulturen führt überdies zu einem Verlust an Biodiversität. Knapp 50 Prozent der weltweiten Baumwollproduktionsfläche ist mit gentechnisch veränderten Baumwollpflanzen bebaut, deren Langzeitfolgen nicht absehbar sind.[2, 3] Für die Produktion von synthetischen Chemiefasern wird Erdöl benötigt, das zukünftig einmal knapp werden wird, weshalb Textilien aus Polymeren auch keine langfristige Alternative sind.[2, 3]

Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad und Versorgungssicherheit

Die genannten negativen Umweltwirkungen können durch den Aufbau einer regionalen Textilkette stark vermindert werden. Der Anbau von Textil-Rohstoffen ist in Mitteleuropa klimatisch möglich. Flachs, Hanf und Brennnesseln benötigen in Mitteleuropa weder Bewässerung noch chemische Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Sie sind wüchsig, leicht zu kultivieren, haben eine große natürliche Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge und eignen sich für die Verarbeitung zu Textilien.[1] Die massiven Umweltschäden durch künstliche Bewässerung, Pestizid- und Düngemitteleinsatz entfallen. Eine regionale Produktionskette bedeutet zudem kurze Transportwege zwischen den einzelnen Produktionsstufen, was die Ökobilanz der Textilien verbessert.[3]

Es ist aus ökologischer und ökonomischer Sicht sinnvoll, alle Schritte auf regionaler Ebene durchzuführen. Die Rückführung globaler Wertschöpfungsketten von Textilien auf regionale Skalen bedeutet nicht nur eine Abkehr vom expansiven Modernisierungspfad, sondern dient auch der Versorgungssicherheit. Da das Tragen von Kleidung eines der Grundbedürfnisse ist, leistet die regionale Selbstversorgung mit Textilien einen immensen Beitrag hinsichtlich Autarkie und Subsistenz. Wenn es möglich ist, die gesamte Wertschöpfungskette eines Gutes vom Rohstoffanbau über die Verarbeitung und Produktion bis hin zum Vertrieb auf regionaler Ebene zu gewährleisten, sollte dies nach dem Leitbild der Subsidiarität getan werden. Bei Textilien ist dies biologisch und technisch möglich.[1]

Endogene Ressourcen

Nordhessen ist ländlich und bäuerlich strukturiert. Viele kleine Bauerhöfe mussten in den letzten Jahrzehnten den großen Agrarbetrieben weichen. Von 1949 bis 2007 ging die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe mit einer Fläche zwischen zwei und 30 Hektar in Nordhessen stark zurück, gleichzeitig stieg die Zahl der Betriebe mit mehr als 30 Hektar. Insgesamt führt diese Entwicklung zu einer erhöhten Landkonzentration. Jedes Jahr geben etwa fünf Prozent der Landwirte und Landwirtinnen ihren Hof in Nordhessen auf. Die Arbeitslosenquote in der Region liegt bei über 10 Prozent.[1] Im Jahr 2015 importierte Deutschland Bekleidung im Wert von knapp 30 Milliarden Euro.[4] Dieses Geld könnte mit dem Aufbau regionaler Textilketten ebensogut im Inland bleiben und vor Ort Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen. Der Fremdversorgungsgrad kann verringert werden und das Geld der Bürger bleibt in der Region. In Nordhessen existieren noch einige Textilbetriebe, jedoch sind sie wirtschaftlich angeschlagen und mussten in den letzten Jahren zahlreiche Mitarbeiter entlassen. So gibt es in der Region knapp 250 arbeitslose Textilverarbeiter und etwa 120 arbeitslose Schneider.[1] Um diese endogenen Ressourcen zu nutzen, müssen diese Fachkräfte wieder in Arbeit gebracht werden. Die Kompetenzen und die Arbeitskraftkapazitäten sind in der Region ebenso vorhanden, wie die biologischen Kapazitäten.

Multifunktionalität, straffe Rückkoppelungsschleifen und Solidarisierung

Da Hanf (bspw. als Dämmstoff für Häuser), Flachs (bspw. für Speiseöl, Kosmetika, Druckfarben) und Brennnesseln (bspw. für Pflanzenschutzmittel und Nahrung) vielseitig verwendbar sind, können sie zur Multifunktionalität beitragen. Evidenterweise hat eine regionale Textilkette kurze Wege und ermöglicht damit rasche Feedbacks im ökologisch-ökonomischen System. Da die Textilkette als Genossenschaftsverbund geplant ist, werden Partizipation und Mitbestimmung gefördert. Im besten Falle werden die lokale Gemeinschaft und das gemeinsame Regionalbewusstsein durch eine solidarische und demokratische Produktionskette gestärkt. Element eines emanzipatorischen Resilienzbegriffes ist ein Bewusstseinswandel, der sich auch darin ausdrückt, dass Probleme auf neue Art und Weise gelöst werden, dass Gewohntes verlernt wird, dass Gefährdungen definiert und vorausschauend Vorsorge getroffen wird. Das Grundbedürfnis nach Kleidung durch eine regionale Textilkette zu befriedigen ist ein Bewusstseinswandel dieser Art und trägt dazu bei, Abhängigkeiten zu vermindern und zukunftsfähige Anpassungen vorzunehmen. Zukunftsfähig ist das Projekt, da Kleidung ein notwendiges Gut ist, Textilketten nach Peak Oil jedoch nicht mehr so globalisiert sein werden wie heute. Ein Kleidungsstück, das 25.000 Kilometer Transport hinter sich hat, wird für große Teile der Bevölkerung irgendwann nicht mehr bezahlbar sein. Eine Verteuerung des Öls führt zu steigenden Transportkosten, so dass Kleidung zukünftig verstärkt regional erzeugt werden muss, um die Versorgung sicherzustellen.

Erfolgsfaktoren

Die solidarische Textilkette Nordhessen kann nur erfolgreich sein, wenn sich genügend Akteure finden, die das Projekt unterstützen. Es müssen sich ausreichend viele Landwirte finden, die dazu bereit sind, die Rohstoffe biologisch anzubauen, ebenso wie ausreichend Facharbeiter, die dazu bereit sind, genossenschaftliche Verarbeitungsbetriebe zu gründen bzw. weiterzuführen. Wenn dies gelingt, können in der Region Arbeitsplätze geschaffen werden, insbesondere für Menschen mit einer handwerklichen Berufsausbildung. Die Textilkette kann im Erfolgsfall dazu beitragen, dass junge Menschen in Nordhessen eine Zukunftsperspektive sehen und in der Region bleiben. Der Erfolg hängt maßgeblich davon ab, ob es gelingt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass durch Anbau und Verarbeitung von einheimischen Faserpflanzen Umweltschäden begrenzt und Wertschöpfung für die Region geschaffen werden kann. Insbesondere die kleinen Höfe müssen dem Trend der Landkonzentration und der Arbeitsplatzverluste etwas entgegensetzen. Unter den Textilverarbeitern und Schneidern in Nordhessen herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit.[1] Es muss bewusst gemacht werden, dass sie von der Etablierung einer textilen Kette in der Region profitieren können.

Der Markt für ökologische und fair gehandelte Kleidung wuchs die letzten Jahre stetig. Es gibt zahlreiche neue Mode-Labels, die unter nachhaltigen Bedingungen ihre Kleidung in Asien produzieren lassen. Jedoch basieren diese Unternehmenskonzepte auf globalen und nicht auf regionalen Wirtschaftsstrukturen und Wertschöpfungsketten. Während sich in letzter Zeit vor allem in der Lebensmittelindustrie ein Bewusstsein für regionale und ökologische Produkte entwickelt hat, geschieht dies in der Textilbranche bislang kaum. Dies ist eine große Chance für Veränderung. Mit einer regionalen solidarischen Produktionskette können die lokalen Märkte gestärkt und damit der globale Handel auf diejenigen Produkte beschränkt werden, die nicht vor Ort produzierbar sind. Durch die solidarische Organisation soll der Produktionsprozess transparenter gestaltet werden, auch indem Hersteller und Verbraucher in direkten Kontakt treten. Der Kunde erfährt etwas über die Kleidung, die er trägt. Der Produzent kann von den Verbesserungsvorschlägen der Kunden profitieren. Wenn dies erfolgreich vermittelt werden kann, kann das Projekt gelingen.

Unterstützungsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand

Die Steiermark verfügt über die notwendigen Voraussetzungen für den Aufbau einer ökologischen und solidarischen Textilkette. Die Anbauflächen sowie die klimatischen Bedingungen für die Textil-Rohstoffe sind vorhanden, es gibt bereits bestehende Betriebe in der Weiterverarbeitung von Textilien und endogene Ressourcen, die genutzt werden können. Die zukünftig drohenden Probleme durch Klimawandel und Peak Oil werden im Bereich der Textilien (aufgrund des oben genannten Ressourcenbedarfs und -verbrauchs) massiv spürbar sein. Deshalb ist es notwendig, dass frühzeitig Alternativen gefunden werden. Die öffentliche Hand kann hierbei in erster Linie als Impulsgeber und Initiator fungieren. Landwirte, Verarbeitungsbetriebe, Facharbeiter und Händler an einen Tisch zu bringen und sie von einem solchen Konzept zu überzeugen, kann den Stein ins Rollen bringen. Die Aushandlungsprozesse zwischen allen Akteuren müssen überdies moderiert und institutionalisiert werden. Dies kann durch die öffentliche Hand unterstützt werden. Häufig scheitern derartige Projekte an mangelnder Erfahrung und damit eng verbunden an großer Unsicherheit. Eventuell reicht es schon aus, dass Vertreter der öffentlichen Hand beratend zur Seite stehen, Verträge aufsetzen, rechtliche Absicherung bieten usw. Die Umstellung landwirtschaftlicher Flächen für den Anbau der benötigten Rohstoffe kann finanziell gefördert werden. Die öffentliche Hand kann zudem bei der Gründung einer Genossenschaft unterstützend und beratend tätig werden. Bei Betriebsgründungen besteht insbesondere Bedarf an Unterstützung in rechtlichen Fragen. Wenn das Kapital für die Genossenschaftseinlage fehlt, könnte die öffentliche Hand günstige Kredite fördern, um die Eintrittsbarrieren zu verringern. Die Förderung von Ausbildungsplätzen kann ebenfalls zum Erfolg beitragen.

Quellen

[1] Verein zur Förderung der Solidarischen Ökonomie e.V. (Hrsg.) (2011), Schritte auf dem Weg zur Solidarischen Ökonomie, Kassel

[2] WWF (2010), ohne Autor, Hintergrundinformation Bekleidung und Umwelt, https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/HG__Bekleidung_Umwelt_BB_JE_06_2010.pdf

[3] Paulitsch, Katharina et al. (2004), Am Beispiel Baumwolle: Flächennutzungskonkurrenz durch exportorientierte Landwirtschaft, http://wupperinst.org/globalisierung/pdf_global/baumwolle.pdf

[4] Statista (2016), ohne Autor, Wichtigste Herkunftsländer für Bekleidungsimporte nach Deutschland nach Einfuhrwert im Jahr 2015, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/218179/umfrage/die-wichtigsten-importlaender-fuer-das-deutsche-bekleidungsgewerbe-nach-einfuhrwert/